Ahmad A. lebt in seiner Wohnung in Berlin und erhält dort Persönliche Assistenz. Das war nicht immer so: Nach seiner Flucht aus Syrien verbrachte er Jahre in verschiedenen Versorgungssituationen in Deutschland, in denen für ihn kein selbstständiges Leben möglich war. Hier erzählt er seine Geschichte – im Gespräch mit und hier geschildert von unserem Redakteur Alexander von Piechowski.
Die lange Reise
Ich treffe Ahmad im Volkspark Humboldthain. Unter schattigen Bäumen nehmen wir uns Zeit für unser Gespräch. Wer Ahmad kennt, weiß: Er ist ein offener, freundlicher, aufmerksamer Mensch.
Heute sprechen wir über Strecken seines Weges, die im alltäglichen Austausch mit ihm eher unerwähnt bleiben. Ahmad hat eine lange Reise hinter sich, auf der er sich seine Unterstützung und seine Lebensweise erkämpfte. Diese Geschichte beginnt in seinem Heimatland Syrien und führt zur aktuellen Situation in Berlin, wo er sich Schritt für Schritt ein neues Leben aufgebaut hat.
Foto: Alexander von Piechowski
Ahmads Leben in Syrien – mit selbstorganisierter Unterstützung
Möchte ich die ganze Geschichte hören, fragt mich Ahmad – auch mit den unschönen Seiten?
Nach einem Unfall im Jahr 2002 und mehreren darauffolgenden Operationen benötigte er Unterstützung, die er zunächst gemeinsam mit seiner Familie selbst organisierte. So konnte er selbstbestimmt in Syrien leben. Ein Freund der Familie stand ihm als Persönlicher Assistent zur Seite, um ihn im Alltag zu unterstützen. Heute reflektiert Ahmad das besondere Verhältnis der beiden zu dieser Zeit:
Er war mein Assistent und auch mein Freund, er war immer in meiner Nähe. Wir haben eine Freundschaft und eine Bruderschaft aufgebaut.
Das Verhältnis der beiden endete mit dem Krieg, der 2015 in Syrien ausbrach.
Nicht nur Ahmads Assistent, auch einige seiner Familienangehörigen flüchteten vor den Auswirkungen des Krieges. Ahmad selbst blieb vorerst in Syrien und zog mit seiner Schwester zusammen, doch schließlich entschied auch er sich zur Flucht. Es fehlte irgendwann an allem, berichtet er, und es wurde immer schlimmer. Freunde und Familienangehörige starben durch den Krieg.
Flucht und Ankunft in Berlin
Im Jahr 2015 floh er in die Türkei und setzte schließlich seine Reise nach Deutschland fort, wo seine Schwester bereits lebte. Zunächst wurde Ahmad in ein allgemeines Krankenhaus aufgenommen, doch seine gesundheitliche Situation verschlechterte sich.
Daher verlegte man ihn in ein Unfallkrankenhaus. Die Einrichtung hatte laut Ahmad eine angemessenere Versorgung:
Sie hatten viele Ideen für mich, für meine Zukunft. Sie hatten das Material, die Ausstattung und die Pfleger.
Von Krankenhaus zu Krankenhaus … ins Altersheim
Doch das Unfallkrankenhaus war nur ein vorübergehender Schritt. Es folgten Reha-Aufenthalte, und zwischenzeitlich lebte Ahmad A. mit nicht einmal 40 Jahren im Altersheim. Es war keine einfache Zeit für ihn. Mehrfach änderte sich die Situation, wobei er häufig in Kontexte geriet, in denen ein selbstbestimmtes Leben unmöglich war. Besonders den Aufenthalt in einer WG mit ambulanter Versorgung beschreibt Ahmad als kaum zumutbar.
Man wird einfach nur versorgt. Sitzen, essen, liegen. Und die Versorgung war gar nicht angenehm. Also der Umgang der Kollegen miteinander, der Chefin mit den Kollegen, aber auch der Pfleger mit Klienten.
Von Besuchen von der eigenen, in Berlin lebenden Familie abgesehen, lebte Ahmad hier fast ausschließlich in seinem Bett.
Praktische und bürokratische Hürden auf dem Weg zur Persönlichen Assistenz
Bereits zu diesem Zeitpunkt versuchte Ahmad A., Persönliche Assistenz zu erhalten. Die Behörden aber sahen ihn in seiner damaligen Wohngemeinschaft als ausreichend versorgt an, weswegen er dort nicht zusätzlich Assistenz in Anspruch nehmen konnte. Ahmad brauchte also entweder einen Platz in einer Wohngruppe beim Assistenzdienst oder eine eigene Wohnung, um Persönliche Assistenz zu erhalten.
Es dauerte lange, bis ein Platz in einer Wohngemeinschaft mit mehreren Assistenznehmenden frei wurde. Zusätzlich musste Ahmad Anträge beim Sozialamt stellen und zahlreiche Gutachten einholen. In einem dieser Gutachten wurde zudem Ahmads damalige Situation wortwörtlich mit einem Leben im Gefängnis verglichen. Vom Freiwerden des Platzes bis zur Genehmigung zum Umzug durch die Behörden dauerte es also noch einmal zehn Monate. Irgendwann war es soweit.
Foto: Alexander von Piechowski
Ein neues, ein eigenes Leben – mit der richtigen Unterstützung
Die neue Wohnsituation und die Persönliche Assistenz haben Ahmads A.s Leben grundlegend verändert, erzählt er. Ahmad konnte wieder am Leben teilhaben, Deutschkurse besuchen, hatte Zeit zum Lesen und das Gefühl, seine Freiheit zurückzugewinnen. Auch mit seinem Assistenzteam ist er heute zufrieden. Stolz erzählt er von seinem Team:
Ein sehr gutes Team. Ich kann dir sagen, es ist ein internationales Team: ein Deutscher, eine Türkin, ein Afghane und eine Polin. Sie haben mein Leben bunt gemacht. Sie haben wirklich mein Leben geändert. Ich bin ihnen dankbar.
Mittlerweile lebt Ahmad nicht mehr in einer Wohngruppe. Durch das BEW und die persönliche Assistenz hat er 2021 eine Wohnung in Spandau gefunden, in der er alleine lebt und weiterhin Persönliche Assistenz erhält. Hier hat er mehr Zeit für sich und kann sich auf sich selbst konzentrieren. An diesem Punkt seiner Erzählung frage ich ihn, was ihm auf dem langen Weg und bei all den Veränderungen Kraft gegeben hat. Das Lernen und das Entdecken neuer Dinge, sagt er, haben ihm immer wieder geholfen, optimistisch zu bleiben.
Ich war nie lange Zeit pessimistisch in meinem Leben. Ich kann ein paar Stunden pessimistisch sein. Aber nicht lange. Ich gebe nie auf, ich bin ein Mensch, der weiterkämpft, bis er da ist, wo er sein will. Dadurch ist mein Leben wirklich ganz anders geworden.
Außerdem, sagt er, gebe ihm sein muslimischer Glaube Hoffnung.
Mut haben, Neues lernen, weitersuchen – es gibt immer eine Möglichkeit
Kurz vor dem Ende unseres Gespräches erwähnt Ahmad A. noch einen Punkt, der ihm besonders viel bedeutet: Für Menschen in ähnlichen Situationen ist es wichtig, nach anderen, für sie passenden Unterstützungsformen Ausschau zu halten. Mit seiner Geschichte möchte er zeigen: Es gibt Möglichkeiten, das eigene Leben zu verbessern. Man soll nicht aufgeben, sondern weitermachen.
Ich sage dir: Wer in einer Lage wie meiner war, sollte sich beschäftigen. Ich kann nicht viele Tipps geben, aber jeder kennt seine eigene Lage am besten und weiß, wie er sich beschäftigen kann. Mit Lernen, mit Schule, mit Fitness. Oder damit, anderen Leuten zu helfen. Man weiß nie, wer Hilfe braucht.
Ahmad A. mit Mitarbeiterinnen aus dem Team
Foto: Alexander von Piechowski