Paralympics in Paris, Special Olympics in Berlin. Solche Großereignisse werfen immer wieder die Frage auf, wie inklusiv eigentlich der Sport vor Ort ist. Wird Berlin zur Sportmetropole für alle? Trotz Fortschritten in der Förderung inklusiver Sportstrukturen gibt es nach wie vor erhebliche Herausforderungen. In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf aktuelle Entwicklungen und bestehende Barrieren. Außerdem fragen wir, was Special Olympics und Paralympics für Inklusion bedeuten – und was nicht.

Paralympics und Special Olympics – was bringen sie für die Inklusion?

Anerkennung für sportliche Leistungen

Großveranstaltungen wie die Paralympics und die Special Olympics bieten vor allem eines: eine Bühne. Darauf können sich die teilnehmenden Athlet:innen zeigen und erhalten Respekt und Anerkennung für ihre Leistungen. Wenn es daran mediales Interesse gibt, kann auch das Bewusstsein für Inklusion im Sport allgemein steigen. So denkt auch der Landessportbund Berlin über die Special Olympics, die 2023 in Berlin stattgefunden haben:

Viele Berliner*innen haben zum ersten Mal inklusiven Sport erlebt und konnten hautnah erleben, dass Inklusion nicht nur möglich, sondern auch eine wunderbare Bereicherung für alle Beteiligten ist.

Tim Tschauder
Inklusionsmanager beim Landessportbund Berlin

Um das vorwegzunehmen: Weder Special Olympics noch Paralympics sind inklusiv. Sie verändern nicht das System, sondern sind spezielle Veranstaltungen, an denen Sportler:innen aufgrund ihrer Behinderungen teilnehmen können.

Dennoch kann auch in der Gesellschaft insgesamt die Sichtbarkeit dieser großen Spiele etwas verändern, meint iXnet, das inklusive Expert:innen-Netzwerk der Bundesagentur für Arbeit. Menschen mit Behinderungen werden in den Medien oft eher aufgrund im Kontext von Unterstützungsbedürftigkeit porträtiert. Das Bild sportlicher Leistungen bildet einen wichtigen Kontrast dazu.

Was sind Paralympics und Special Olympics?

Die Special Olympics World Games fanden zuletzt 2023 in Berlin statt, die Paralympics 2024 in Paris. Beide Wettbewerbe sind vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) anerkannt und konzentrieren sich auf Sport für Menschen mit Behinderung. Der Unterschied: Bei den Special Olympics treten Athlet:innen mit vordergründig geistiger Behinderung an, während an den Paralympics Sportler:innen mit körperlicher Behinderung teilnehmen.

Selbstvertrauen und soziale Integration

Oft wird außerdem argumentiert, dass öffentliche Sportveranstaltungen wie die Special Olympics das Selbstvertrauen und die sozialen Fähigkeiten der Athlet:innen mit Behinderung fördern. Das hat sich auch Special Olympics Deutschland zum Ziel gesetzt.

Solche wichtigen Potenziale für die mentale Gesundheit und das soziale Eingebundensein birgt Sport allerdings allgemein und unabhängig von einer Behinderung, wie eine Übersicht über wissenschaftliche Studien zum Thema zeigt. Darin wird auch deutlich: Gerade Spitzensport kann durch seine hohen Leistungsanforderungen für das geistige und emotionale Gleichgewicht mancher Athlet:innen auch eine Gefahr darstellen. Daher sollte diese Behauptung zumindest für große, medial präsente Veranstaltungen nicht ganz unhinterfragt übernommen werden.

Eine inklusivere Sportinfrastruktur

Für große Events wie die Paralympics und die Special Olympics wird üblicherweise die lokale Infrastruktur Sport verbessert. Barrieren werden abgebaut und beispielsweise moderne Anlagen errichtet, die mehr Menschen die Teilnahme am Sport ermöglichen. Eine solche Anlage ist in Berlin die barrierefreie Plattform auf dem Wannsee, die den barrierefreien Einstieg in Segelboote möglich macht und für die Regatta der Special Olympics 2023 gebaut wurde.

Aber auch Sportvereine werden im Kontext großer Sportspektakel auf ihre eigenen Strukturen und Barrieren aufmerksam. Tim Tschauder vom Landessportbund Berlin berichtet, dass sich seit den Special Olympics immer mehr Vereine inklusiv öffnen. Auch Senat und Bezirke denken Inklusion im Sport stärker mit, schreibt Tschauder. So werden beispielsweise häufiger Inklusions-Expert:innen eingebunden, wenn Neubauten geplant sind.

An sich keine inklusive Veranstaltung

Paralympics und Special Olympics tragen dazu bei, dass mehr Menschen am Sport teilhaben können. Das tun sie sowohl direkt – durch die Teilnahme der Athlet:innen mit Behinderungen an den Wettbewerben – als auch indirekt, wenn Sie Städte und Vereine dazu anregen, sich inklusiv zu öffnen. Weder die Special Olympics noch die Paralympics – let’s say it again – sind aber eine inklusive Veranstaltung. Zumindest, wenn man gängige Definitionen von Inklusion heranzieht.

Lesetipp

In unserem Blogbeitrag „Inklusion vs. Integration – Wortklauberei oder wesentlicher Unterschied?“ wird erklärt, was Inklusion bedeutet – und was nicht.

Bei den Special Olympics gibt es inzwischen einige Wettbewerbe, in denen Teams aus Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam antreten, die sogenannten Unified Sports. Die Paralympics finden getrennt von und nach den Olympischen Spielen statt.

Dabei stehen immer – und auch das ist eine weniger inklusive Auswirkung der Spiele – die Diagnosen der Athlet:innen medial im Vordergrund. Dazu sagt Sozialpädagogik und Diversity-Referentin Katja Lübke:

Als Mensch mit eigenen Behinderungen wünsche ich mir, dass die Teilnehmenden der Paralympics vor allem als herausragende Sportler*innen gesehen werden. Nicht als Superheros, die „trotz“ ihrer Behinderung und mit ihrem „Leid“…, ihr wisst schon. […] Mein größtes Leid als (Breiten)Sportlerin im Rollstuhl ist die mangelnde Barrierefreiheit von Sportstätten!

Katja Lüke
Die Neue Norm

Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Sport in Deutschland

UN-Konvention schreibt das Recht auf Teilhabe am Sport vor

Deutschland hat 2007 die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) unterzeichnet. Dazu zählen umfangreiche Maßnahmen „mit dem Ziel, Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilnahme an Erholungs-, Freizeit- und Sportaktivitäten zu ermöglichen“. Sie werden in Artikel 30 des Übereinkommens zusammengefasst:

  • Ermutigung zur und Förderung der Teilnahme am Breitensport
  • Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung durch entsprechendes Angebot, Training und Information bereitstellen
  • Zugang zu barrierefreien Sportstätten sicherstellen
  • Zugang zu Dienstleistungen im Sportbereich sichern

In der Realität ist die Teilhabe am Sport noch nicht gesichert

Wie steht es um die Teilhabe von Menschen mit Behinderung an Sportangeboten? Für Deutschland insgesamt gibt der Teilhabebericht der Bundesregierung dazu Anhaltspunkte. Er wurde zuletzt 2021 veröffentlicht. Demnach treibt etwa ein Drittel (32%) der Menschen mit Behinderung in Deutschland regelmäßig Sport, unter Menschen ohne Behinderung ist es etwas mehr als die Hälfte (55%). Es gibt es also einen erheblichen “(Dis-)ability Gap” im Sport.

Wie der Deutsche Behindertensportverband (DBS) annimmt, hat die begrenzte Teilhabe vor allem zwei Gründe: die mangelnde Barrierefreiheit von Sportstätten und das zu geringe Sportangebot für Menschen mit Behinderung – vor allem im ländlichen Raum. Damit scheint Deutschland von der Erfüllung seiner Pflichten laut der UN-BRK noch weit entfernt.

Berlins Engagement, Berlins Barrieren – das passiert gerade in der Sportmetropole

Und in Berlin? Hier scheint es etwas besser auszusehen – sowohl, was die Teilhabe am Sport insgesamt, als auch, was inklusive Angebote angeht.

Behindertensport in Berlin

Ersteres zeigt zum Beispiel die Entwicklung des Behinderten- und Rehabilitations-Sportverbandes Berlin (BSB). Er zählt inzwischen 25.000 Mitglieder, die in 200 Sportorganisationen im Verband organisiert sind. Acht Berliner Sportler:innen aus diesen Vereinen zählen 2024 zum Team Deutschland bei den Paralympics in Paris.

Der Berliner Senat fördert auch weitere große Jahresveranstaltungen des Behindertensports, die hier stattfinden. Dazu zählt die German Open Wheelchair, das höchstdotierte Rollstuhltennis-Event in Deutschland.

Inklusive Sportangebote in Berlin

Pfeffersport: sportlich inklusiv seit 1996

Mit einer Gruppe Studierender an der FU Berlin fing es an. 1996 initiierte sie gemeinsamen mit dem Landessportbund und dem Behindertensportverband inklusive Sportangebote in Berlin und wertete deren Erfolg wissenschaftlich aus. „Pfeffersport“ wurde 1990 als Volleyballverein im Prenzlauer Berg gegründet. Die damals hier durch die Studierenden initiierten Angebote halten sich bis heute – und sind inzwischen auf ca. 300 regelmäßige Sportgruppen in zahlreichen verschiedenen Sportgruppen angewachsen.

Der Verein über sich:

Wir bei Pfeffersport haben die Vision, den über 5.300 verschiedenen- und Bewegungsbedürfnissen unserer Mitglieder gerecht zu werden. Inklusion ist dabei wie eine Klammer: Jede*r soll bei uns Sport treiben können.

Pfeffersport

Das meint in diesem Fall nicht, dass in allen Bereichen „alle mit allen Sportmachen können“, erklärt der Pfeffersport auf seiner Website. Aber es soll Möglichkeiten sportlicher Betätigung geben, die die Bedürfnisse aller Mitglieder erfüllen – und das sind über 5000.

Im Kinder- und Jugendbereich öffnen wir unsere Sportgruppen für ALLE – explizit auch für Kids mit Behinderung. Heterogene Gruppen sind besonders einfach machbar.

Pfeffersport

Im Verein insgesamt haben aber auch „homogene Gruppen ihre Berechtigung“, führt der Verein weiter aus und setzt auf vielfältige Sport- und Bewegungskonzepte. Dazu gehören beispielsweise auch Angebote für Mädchen und Frauen und queere Gruppen.

Pfeffersport gehört außerdem zu Mission Inklusion, einem Qualifizierungsprojekt für Sportorganisationen. Das Team bietet Workshops, Online-Seminare und Sensibilisierungsmaßnahmen an, um Vereine auf dem Weg zur inklusiven Sportorganisation zu begleiten.

Der Landessportbund Berlin

Für eine inklusivere Sportlandschaft in Berlin setzt sich außerdem der hiesige Landessportbund (LSB) ein. Sein Ziel ist es, dass „dass jeder Mensch unabhängig von seinen individuellen Voraussetzungen, Fähigkeiten oder Behinderungen die Möglichkeit erhält, selbstbestimmt und gleichberechtigt am Sport teilzuhaben und ihn aktiv mitzugestalten“.

Um die Sportvereine dabei zu unterstützen, bietet der Sportbund beispielsweise Fortbildungen und Beratungen für Übungsleitende und Vereinsmanager:innen an, in denen ganz konkrete Fragen geklärt werden – zum Beispiel „Wie kann ich ganz konkret in meiner Sportart ein inklusives Angebot schaffen“? Der Sportbund unterstützt auch dabei, Sportstätten barrierefrei zu gestalten.

Weiterhin Mangelware: barrierefreie Sportstätten

Das Engagement des Sportbunds ist wichtig, denn die meisten Sportstätten in Berlin können aktuell nicht als barrierefrei bezeichnet werden. Dabei besteht ein großes Problem in der veralteten DIN-Norm für barrierefreies Bauen, deren Bestimmungen nicht ausreichen – sie berücksichtigt nur wenige Aspekte von Barrierefreiheit.

Es werden in Anführungszeichen barrierefreie Sportstätten gebaut, die sind aber kein bisschen barrierefrei. Diese DIN ist zu alt, zu schwach – sie berücksichtigt ganz viele Aspekte einfach nicht.

Tim Tschauder
Inklusionsmanager beim Landessportbund Berlin

So kam es bereits zu der Situation, dass in Spandau eine vermeintliche inklusive Sporthalle anhand der Norm barrierefrei gebaut wurde – aber keinerlei Orientierungshilfen für blinde Menschen bot, zum Beispiel Handleitplanken oder Beschriftungen in Brailleschrift.

Ein wichtiges Werkzeug, um hier Abhilfe zu schaffen, bietet der „Kriterienkatalog für inklusiv nutzbare Sportstätten“, den das Netzwerk Sport und Inklusion Berlin 2019 veröffentlicht hat. Er soll in Berlin nun bei Sportstättenplanungen und -förderungen berücksichtigt werden, um eine inklusive Sportstättenstruktur zu schaffen. Dabei werden ganz verschiedene Bereiche bedacht, von Umkleidemöglichkeiten über die Orientierung innerhalb der Anlage bis hin zur barrierefreien An- und Abreise.

Der Jahnsportpark – ein Leuchtturmprojekt

Der Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark – kurz Jahnsportpark – im Prenzlauer Berg blickt wortwörtlich auf eine bewegte Geschichte zurück. Darin begann er als preußischer Exerzierplatz. 1892 fand hier das erste groß beworbene Fußballspiel mit zahlendem Publikum in Deutschland statt. Das heutige Stadion wurde in 1950er-Jahren gebaut und dann rege genutzt, beispielsweise für zehn Länderspiele der Fußballnationalmannschaft der DDR – die sie alle gewann. Die Mauer verlief stellenweise auf dem Stadionwall, nur wenige Meter von den Zuschauerrängen entfernt.

Bis heute ist der Jahnsportpark, neben dem populären Mauerpark gelegen, eine wichtige Sportstätte für Vereine und Anwohner:innen. Aber das Gebäude ist veraltet – und voller Barrieren. Daher soll der Bau nun weitgehend abgerissen und zur inklusiven Sportstätte umgebaut werden.

Das Ziel: Alle Bereiche sollen für Menschen mit und ohne Behinderung von Anfang an nutzbar sein. Dabei wird nicht nur auf motorische Aspekte geachtet, zum Beispiel die Nutzung eines Rollstuhls, sondern auch auf akustische, visuelle und kognitive Einschränkungen.

Der Jahnsportpark wird Berlins drittgrößtes Stadion, in dem 20.000 Besucher:innen Platz finden. Aber – wie auch heute schon – soll er nicht nur zum Besuch von Spielen genutzt werden. Vielmehr bietet er Berliner:innen mit und ohne Behinderung auch die Möglichkeit, dort selbst zu trainieren, allein oder im Verein. Die Abrissarbeiten sollen noch 2024 beginnen.

Fazit: Beim inklusiven Sport in Berlin ist vieles in Bewegung – und noch viel zu tun.

In Berlin hat sich schon Einiges in Richtung von mehr Barrierefreiheit und einer inklusiveren Sportlandschaft verändert. Manches davon haben die Special Olympics 2023 bewirkt, für die zum Beispiel einzelne neue Sportanlagen errichtet wurden. Anderes besteht schon seit Jahrzehnten, beispielsweise der Pfeffersport mit seinem inklusiven Vereinsangebot.

Dennoch gibt es viel zu tun, allem voran im Bereich der Barrierefreiheit der Sportstätten. Aber auch darüber hinaus, wie Katja Lüke schreibt:

Mein zweitgrößtes Leid sind die teuren Hilfsmittel, deren (hohe) Kosten im Bereich erwachsener Sportler*innen selten übernommen werden. Ab hier wird die Leidensliste individueller: fehlende Assistenz für den Sport, zu wenig inklusive Angebote, zu wenig Peer-Angebote, schlechter ÖPNV, keine Sponsoren, weil zu wenig Aufmerksamkeit in den Medien …

Katja Lüke
Die Neue Norm

Das zeigt: Inklusion im Sport funktioniert nicht ohne umfassende gesellschaftliche Inklusion. Man kann die Bedingungen im Sport kaum verändern, wenn man nicht erst die Bedingungen schafft, um überhaupt am Sport teilnehmen zu können – für die Materialien, für die ggf. unterstützte Teilnahme, für die Anreise. Und hier ist weiterhin viel zu tun.
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