Im Jahr 2022 wandten sich über 8000 Menschen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes – doppelt so viele wie noch 2019. Sie suchten Rat, weil sie zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Wohnungssuche Erfahrungen mit Benachteiligung gemacht haben. Die meisten Anfragen gab es aufgrund von Rassismus und Diskriminierung wegen Behinderung. Diskriminierung ist also ein wichtiges Thema, das viele Menschen in der Gesellschaft betrifft. Allerdings kursieren darüber auch Gerüchte und Missverständnisse – mit einigen räumt dieser Artikel auf.

Was ist Diskriminierung?

In diesem Artikel geht es um Diskriminierung im Sinne von Benachteiligung. „Eine unmittelbare (direkte oder offene) Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person eine weniger günstige Behandlung als eine Vergleichsperson erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn eine Person mit Migrationshintergrund trotz gleicher Qualifikationen nicht zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wird, Personen ohne Migrationshintergrund hingegen schon.“
Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Mythos #1: Nach deutschem Recht ist Diskriminierung grundsätzlich verboten.

Eigentlich positioniert sich das Grundgesetz klar gegen Diskriminierung: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ (GG Art. 3 Abs. 1) und weiter:

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Grundgesetz Art. 3 Abs. 3

Daher könnte man annehmen, jede Art von Benachteiligung aufgrund dieser Merkmale sei in Deutschland gesetzlich verboten. Das stimmt leider nur fast: Das Gesetz gilt grundsätzlich für das Handeln des Staates gegenüber Bürger:innen. Im Privatrecht hat es – ohne in weitere Gesetze übersetzt zu werden – nicht die gleiche Gültigkeit.

Gleichheit, etwas konkreter: das AGG

Was das Grundgesetz nicht regelt, klärt in vielen Fällen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Es setzt außerdem europäische Richtlinien zum Schutz vor Diskriminierung um. Dazu ist Deutschland verpflichtet und hatte bis zur Einführung des Gesetzes bereits mehrere Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof verloren.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

AGG, §1

Das Gesetz gilt im Alltag und auch im Berufsleben. Im Alltag schützt es zum Beispiel vor Diskriminierung durch Versicherungen oder bei der Wohnungssuche. Im Berufsleben wiederum sollen alle Bereiche mitgedacht werden, die mit der Arbeitswelt zu tun haben: Bewerbung, Arbeitsvertrag, Weiterbildung, Mitgliedschaft bei einer Arbeitnehmervereinigung (z.B. Gewerkschaften) und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

 

Manchmal sind manche doch gleicher – Ausnahmen vom AGG

Der Diskriminierungsschutz durch das AGG bezieht sich nur auf die darin genannten Bereiche und Merkmale. Das heißt: Andere Merkmale sind nicht automatisch abgedeckt. Dazu gehören zum Beispiel die Benachteiligung aufgrund von Aussehen, wie (vermeintlichem) Übergewicht, oder aufgrund von Klasse, etwa wegen des Eindrucks von Armut.

Außerdem sind bestimmte „positive Maßnahmen“ (§5 AGG) zulässig. Sie sollen gesellschaftliche Nachteile für bestimmte Gruppen verhindern oder ausgleichen. So ist zum Beispiel eine Frauenquote in männerdominierten Berufen grundsätzlich erlaubt, da sie dazu beitragen soll, Frauen in diesen Berufen zu stärken. Welche Ungleichbehandlungen im Einzelnen erlaubt oder verboten sind, ist nicht einfach zu beschreiben und ändert sich durch die Rechtsprechung auch oft.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes schreibt weiter:

In sehr engen Grenzen sind unterschiedliche Behandlungen in Bezug auf das Berufsleben zulässig, wenn die geforderte Eigenschaft für die Ausübung der Tätigkeit wesentlich und fast unerlässlich ist.

Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Daher ist es beispielsweise zulässig, das eine gynäkologische Praxis nur Frauen einstellt. Auch im Kontext von Religion wird immer wieder thematisiert, welche Ungleichbehandlungen erlaubt sind.

Mythos #2: Kirchliche Arbeitgeber:innen dürfen Mitarbeitende aufgrund religiöser Gesichtspunkte entlassen oder gar nicht erst einstellen.

Ein Lehrer wird von einer katholischen Schule nach seiner Scheidung entlassen, eine Ärztin in einem evangelischen Krankenhaus darf kein Kopftuch tragen, ein christlicher Kindergarten stellt nur Mitarbeitende ein, die Kirchenmitglied sind. Solche Anekdoten hört man häufig. Es wirkt, als würden christliche Einrichtungen besonderen Schutz genießen –als dürften sie diskriminieren. Stimmt das? Die Antwort lautet jein – seit 2018 aber zunehmend nein, spätestens seit 2018.
Der gestrige Donnerstag markiert eine Zäsur in der Geschichte der Kirchen in Deutschland. Sie dürfen Religionszugehörigkeit bei Mitarbeitern nicht mehr unbedingt voraussetzen.

PRO, das christliche Medienmagazin, am 26.10.2018

Viele kirchliche (vor allem soziale) Einrichtungen pflegten sehr lange die Praxis, nur Kirchenmitglieder einzustellen – soweit der zunehmende Mangel an Fachkräften oder Kirchenmitgliedern dem nicht im Weg stand. Der Europäische Gerichtshof und danach auch das Bundesarbeitsgericht haben jedoch 2018 entschieden, dass das nicht grundsätzlich zulässig ist.

Eine Sozialpädagogin hatte geklagt – und gewonnen

Grund war die Klage einer konfessionslosen Sozialpädagogin. Sie hatte sich um eine Referentinnenstelle beworben, die einen Bericht zur Umsetzung der Antirassismuskonvention durch Deutschland erarbeiten sollte. Die Diakonie hatte in ihrer Stellenausschreibung die Kirchenzugehörigkeit zur Bedingung gemacht – laut dem Gericht war das jedoch nicht gerechtfertigt.

Kirchen dürfen demnach nicht mehr pauschal Religionszugehörigkeit zur Voraussetzung machen. Für bestimmte Stellen ist das jedoch weiterhin möglich. Dazu zählen Berufe wie Pfarrer und Lehrer:innen im christlichen Religionsunterricht, für die die Vermittlung des christlichen Glaubens im Mittelpunkt steht – der sogenannte „Verkündigungsauftrag“.

Zu anderen Themen wird immer wieder durch Gerichte entschieden. So durfte ein Chefarzt laut Gericht nicht entlassen werden, weil er nach einer Scheidung erneut heiratete. Das Sakrament der Ehe stellt dem Urteil zufolge kein Erfordernis für die Ausübung des Arztberufs dar. Einer Rezeptionistin durfte hingegen das Tragen eines Kopftuches am Arbeitsplatz untersagt werden, weil der Arbeitgeber insgesamt ein Bild der Neutralität vermitteln wollte. In diesem Fall war allen Mitarbeitenden grundsätzlich verboten worden, sichtbare Zeichen von religiösem oder politischem Charakter zu tragen.

Kritische Stimmen aus der Kirche – bislang mit begrenztem Erfolg

Auch queere Menschen machen immer wieder auf ihre Benachteiligung im System Kirche aufmerksam. Anfang 2022 berichteten mit der Initiative #Outinchurch Mitarbeitende christlicher Einrichtungen davon, dass sie ihre sexuelle Orientierung bislang nicht offen kommuniziert hatten. Sie befürchteten Benachteiligung oder Kündigungen.

Die 117 000 Unterschriften der Initiative trugen mit dazu bei, dass die deutschen katholischen Bischöfe sich 2022 auf ein neues Arbeitsrecht verständigten. Merkmale wie Homosexualität, Scheidung oder Wiederheirat dürfen damit keine Kriterien für Einstellung oder Entlassung mehr darstellen. Der Beschluss ist im Moment jedoch lediglich eine Empfehlung – bis er durch Bistümer und Erzbistümer in diözesanes Recht umgesetzt wird.

Mythos #3: Schwerbehinderte Menschen können nicht gekündigt werden.

Arbeitgeber:innen, die mehr als 20 Arbeitsplätze aufweisen, sind gesetzlich dazu verpflichtet, auch schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Laut Daten der Bundeagentur für Arbeit erfüllen diese Pflicht im Jahr 2023 jedoch nur 39 % der Firmen.

In diesem Zusammenhang begegnet man immer wieder der Rechtfertigung von Verantwortlichen, dass sie schwerbehinderte Menschen nicht kündigen könnten. Das unkündbare Arbeitsverhältnis könne für die Firma wiederum später von Nachteil sein – zum Beispiel, wenn es dem Betrieb wirtschaftlich schlecht geht und er sich verkleinern muss. Allerdings stimmt die Vorstellung der Unmöglichkeit der Kündigung so nicht.

Kündigungsschutz statt Kündigungsverbot

Was stimmt: Schwerbehinderte Menschen haben einen besonderen Kündigungsschutz. Das bedeutet, dass Arbeitgeber vor der Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes einholen müssen. Diese Regelung gilt für alle Betriebe unabhängig von ihrer Größe. Durch sie sind Menschen geschützt, die einen Grad der Behinderung über 50 haben oder durch die Bundesagentur für Arbeit gleichgestellt wurden.

Das Gesetz soll Menschen vor behinderungsbedingten Kündigungen schützen. Die Integrationsämter prüfen daher, ob aufgrund der Behinderung gekündigt wurde und ob stattdessen am Arbeitsplatz selbst etwas verändert werden kann. Wenn möglich, soll der Verlust des Arbeitsplatzes vermieden werden – zum Beispiel durch Hilfsmittel oder Arbeitsassistenz.

Auch vom besonderen Kündigungsschutz gibt es bestimmte Ausnahmen. Er gilt zum Beispiel nicht am Ende eines befristeten Arbeitsverhältnisses, in der sechsmonatigen Probezeit oder wenn die schwerbehinderte Person selbst kündigt.

Fazit: Recht & Gesetz zwischen Schutz und Ausnahme

Deutschland verfügt inzwischen über ein ausführliches Antidiskriminierungsgesetz, das AGG. Auch unserer Verfassung nach sind wir vor dem Gesetz alle gleich. Dennoch sind nicht alle von diesen Gesetzen geschützt und der Schutz gilt nicht immer.

Das Dickicht aus Regelungen, Ausnahmen und Urteilen ist oft schwer zu durchdringen. Hier sind auch Gerichte und Berater:innen immer wieder herausgefordert. Aber es lohnt sich, den Weg gegen Diskriminierung zu wagen: zum Schutz der eigenen, selbstbestimmten, selbstgewählten Lebensgestaltung in der Mitte der Gesellschaft.

Bleibt dran! In kommenden Beiträgen auf diesem Blog vertiefen wir das Thema der Diskriminierung und Antidiskriminierungsarbeit.