Mit Persönlicher Assistenz werden Menschen mit Behinderungen in verschiedenen Lebensbereichen unterstützt – von ihrem persönlichen Team und bis zu 24 Stunden am Tag. So weit, so gut – der Alltag dieses Unterstützungsverhältnisses ist aber so verschieden wie die involvierten Personen. Hier erzählen zwei Assistenzkräfte, wie sie zu ihrem Job gekommen sind und wie Ihre Arbeit aussieht. Außerdem sprechen sie darüber, was Sie an Ihrem Beruf schätzen und mit welchen Herausforderungen sie umgehen.
Was bedeutet es für Dich, in Deinem Beruf zu arbeiten? Assistent:innen antworten.
Foto: Leeloo Thefirst

Wege und Umwege in den Assistenzberuf

Für manchen ist der Job „absolut krisensicher“

„Erst mal muss man ja überhaupt davon erfahren“, antwortet Niklas Klee* auf meine Frage, wie er zu seinem Beruf gekommen ist. Das Interview führen wir in seinem Wohnzimmer, auf einem Sofa zwischen Instrumenten und Mikrofonen. Hier nimmt er auch Hörbücher auf und verbringt Zeit mit seinen Kindern. Klee sammelte im Laufe der letzten zwanzig Jahre Erfahrung in verschiedenen Arbeitsbereichen.

Von Assistenz erfahren hat er Ende der 1990er-Jahre, in einer „Phase, in der ich alles und nichts gemacht habe, Jobs zum Geldverdienen: Möbelpacker, Würstchen verkaufen, was weiß ich“. Damals kam er über einen Freund und durch „ein bisschen Zufall“ zur Assistenz, in die er sich schnell einfand. Zunächst arbeitete er im sogenannten Arbeitgebermodell, also für einen Menschen mit Unterstützungsbedarf, der ihn selbst anstellte.

Schließlich fand er seinen Weg ins Dienstleistungsmodell. Dabei verwaltet eine Organisation in Absprache mit den Assistenznehmenden die Assistenz, sucht also zum Beispiel Assistenzkräfte, schreibt Dienstpläne und Rechnungen oder bietet Supervision an.

Seit einigen Jahren arbeitet Klee im Organisationsmodell über Phönix Soziale Dienste fest im Team eines Klienten. Daneben war er auch lange Schauspieler und häufiger auf Tourneen. Die Assistenz aber hat sich für ihn im Gegensatz dazu während der Pandemie als „absolut krisensicherer Job“ erwiesen – bei dem er bleiben will.

Für andere ist es „der erste richtige Job“

Auch Joana Eilert* hat ihren Weg in die Assistenz nicht vorausgeahnt. Auf ihre 31-jährige Biografie zurückblickend, wundert es sie aber nicht, dass sie sich jetzt beruflich mit der Unterstützung von Menschen mit Behinderung befasst. So lernte sie schon als Kind in einer integrativen Schule und entwickelte nie „solche Berührungsängste“, wie sie sie manchmal an ihren Freund:innen bemerkt.

Nach der Schule orientierte sie sich in den sozialen Bereich, machte ein Freiwilliges Soziales Jahr, begann ihr Studium der Sozialen Arbeit und steht nun kurz vor dessen Abschluss. Dort erfuhr sie auch von Assistenz. Zu ihrem Job aber kam sie schließlich über eine Stellenanzeige – eine von mehreren, auf die sie sich neben dem Studium beworben hatte.

Assistenz ist für sie nun der „erste richtige Job“. Zwar hat sie schon in anderen Bereichen gearbeitet, zum Beispiel in der Reisebegleitung von Menschen mit Behinderung, aber nun als Assistentin für eine Organisation zu arbeiten, fühlt sich doch fester an, sagt sie – „irgendwie offizieller“. Wie Klee arbeitet auch sie fest im Team eines Assistenznehmers.

Oft rund um die Uhr ansprechbar: Persönliche Assistent:innen
Foto: Tima Miroshnichenko

Nacht und Tag in der Assistenz

Als Assistenzkraft hat man oft nicht nur einen Arbeitstag, sondern auch eine Arbeitsnacht – wenn der Stundenumfang der Assistenznehmenden es zulässt. Klee und Eilert berichten, wie ihre Tag- und Nachtschichten aussehen.

„Zur Tagschicht komme ich morgens“, erzählt Klee. „Entweder schläft mein Klient dann noch und sagt mir, wann ich ihn wecken soll, geht dann meistens duschen, ich unterstütze ihn dabei. Dann hat er Termine oder auch nicht. Und evtl. machen wir dann noch was.“ Auch Eilert nimmt mit ihrem Klienten tagsüber meist Termine wahr, fährt einkaufen, unterstützt ihn bei „Alltagsgeschichten“.

Die Nacht ist eine andere Welt, davon geprägt, dass ihr Klient sich zu Hause mit Gaming und anderen Interessen beschäftigt. Auch Klees Klient macht abends zu Hause schlicht „sein Ding“ oder hat Besuch.

Körperpflege gehört immer zur Arbeitszeit. Hier hört das Typische der Tätigkeit aber auch schon auf: Beide Assistenzkräfte erleben jede Nacht, jeden Tag als verschieden. Es kann vorkommen, meint Eilert, dass wenig zu tun ist, „weil mein Klient schläft. Oder man hat Action, geht in den Club mit ihm oder Schwimmen.“ Auch in ruhigen Zeiten ist die Anwesenheit der Assistenz aber wichtig, weil es auch um Schutz, um Gefahrenprävention gehen kann – dazu unten mehr.

Ein Job, der Zeit und Zufriedenheit schaffen kann

Die beiden Assistenzkräfte halten nicht zufällig an ihrem Job fest. Sie bleiben, weil sie ganz bestimmte Vorteile darin sehen. Für Klee gehört neben der Krisenfestigkeit des Assistenzjobs vor allem die „Zeit-Geld-Verteilung“ dazu. Er arbeitet in 12-Stunden-Schichten – eine lange Arbeitsphase, die sicher für manche eine Herausforderung darstellen würde. Für Klee passt es aber gut: „12 Stunden pro Tag sind einfach eineinhalb Tage. Wenn man das hochrechnet, hast du schnell deine Stunden zusammen“. So hat er genügend Zeit für seine Kinder, seine nebenberufliche Selbstständigkeit, für andere Interessen.

Vor allem aber sieht er einen Sinn in seiner Tätigkeit: „Ich finde, es ist eine super sinnvolle Sache. Ich weiß, dass ich einem Menschen dabei behilflich bin, einfach sein eigenes Leben zu leben. Er muss nicht im Heim sitzen und darauf warten, dass jemand mal 10 Minuten Zeit hat, um mit ihm zu reden.“ Eilert geht es ähnlich:

Ich mag dieses Gefühl, dass ich was bewegen kann oder was Produktives tue. Etwas, wo ich sehe: Ich helfe der Person jetzt wirklich gerade. In der Mitte meines Studiums hatte ich den Eindruck, dass man sich in der Sozialen Arbeit nur mit Problemen beschäftigt. Und manchmal sieht man da auch nicht so die Erfolge. Bei der Assistenz habe ich das Gefühl, dass man direkt den Erfolg sieht. Das ist für mich zufriedenstellend, auch wenn es keine großen Veränderungen sind. Aber für die Person ist es ja eine großartige Veränderung in dem Moment.

Joana Eilert

Persönliche Assistentin

„Das große Thema ist immer Selbstbestimmung, darum geht es.“

Diese Veränderung hat für Eilert mit Selbstständigkeit, mit Selbstbestimmung zu tun. Sie hat erlebt, wie ihr Klient seinen Tag freier nach eigenen Interessen gestalten konnte, als der Stundenumfang der Assistenz erhöht wurde.

„Er war schon immer eine Nachteule, kann sich aber jetzt mehr ausleben“, erzählt sie. „Jetzt kann er nachts auch wach bleiben, was vorher nicht möglich war. Da musste er eigentlich um 12 Uhr im Bett sein, weil wir dann gehen. Und jetzt hat er die Freiheit, bis spät in die Nacht wach zu sein und zu machen, was er will.“

Als ihr Klient noch weniger Assistenzstunden hatte, „hat man ihn acht Stunden allein lassen müssen, wenn er abends noch nicht ins Bett gegangen ist. Aber er braucht immer mal wieder jemanden, der ihm hilft. Und dann ist es auch schon mal passiert, dass er aus dem Rollstuhl gerutscht ist.“

Die bloße Anwesenheit von Assistenzkräften in der Wohnung dient also in vielen Fällen auch dem Schutz vor gefährlichen Situationen. Vor allem aber bieten die Assistenzstunden Menschen mit Unterstützungsbedarf die Möglichkeit, eigene Interessen und den persönlichen Tagesrhythmus auszuleben. Dazu wäre ein Mensch ohne körperliche Behinderung ebenso in der Lage. Daher wendet die Assistenz hier letztlich sowohl Gefahren als auch Diskriminierung ab.

So formuliert auch Klee: „Das große Thema ist immer Selbstbestimmung, darum geht es.“ Seine Haltung ist, dass man alles möglich machen kann, wenn man sich dafür einsetzt: „Wenn man will, geht es immer.“

„Das muss man einfach aushalten können“ – zwischen Unterstützung und Zurückhaltung

Aber was bedeutet es, sich in der Assistenz für Klient:innen einzusetzen? Und wann ist Eigeninitiative angebracht, wann nicht? Hier haben Eilert und Klee unterschiedliche Haltungen.

So erzählt Klee von seiner „Erfahrung, dass Menschen zwar Selbstbestimmung haben, aber sie nicht wirklich nutzen“. Er erzählt von einem Klienten, der zwar in Urlaub fahren und häufiger Clubs besuchen könnte, diese Möglichkeiten aber nicht aufgreift – oder „nur, wenn ich ihn darauf anspreche und ihn dazu motiviere“.

Klee nimmt also Einfluss auf Assistenznehmende, weil es aus seiner Sicht „ihr Leben bereichern würde. Ich kann mir nicht vorstellen“, sagt er, „den ganzen Tag in meiner Wohnung zu sitzen. Und es ist ja auch nicht Sinn der Sache, dass Leute nur mit ihrer Assistenz zu tun haben.“ Dabei denkt er an Menschen, die lange in Institutionen oder mit weniger Unterstützung gelebt haben und ihre Möglichkeiten mit der Assistenz nun neu entdecken. Reisen zu planen, spontan wegzugehen – „das müssen sie vielleicht erst einmal für sich neu lernen.“ Gleichzeitig reflektiert er seine Haltung auch kritisch:

Ich weiß, dass das meine Perspektive ist – das kommt natürlich aus meinem Kopf und nicht von ihnen. Man sieht manchmal Sachen bei jemandem und weiß nicht, ob das so gut ist. Letztlich geht es mich aber eigentlich nichts an. Ich muss die Dinge so akzeptieren.

Niklas Klee

Persönlicher Assistent

Ähnlich thematisiert auch Eilert die Herausforderung, sich zugunsten der Selbstbestimmung als Assistentin zurückzuhalten. „Mit meinem Klienten ist das Sucht“, sagt sie und empfindet es als schwierig, „wenn man sieht, wie sich die Person ein bisschen ins eigene Verderben hantiert. Es ist nicht meine Aufgabe, ihm reinzureden. Ich kann ihm natürlich etwas sagen, wenn er hören möchte, was ich davon halte. Aber es ist sein Leben, er kann machen, was er will. Das muss man einfach aushalten können.“

Woher wissen, wann man wobei hilft?

Eilert arbeitet nun über ein Jahr bei einem Assistenznehmenden. Nach und nach lernt sie, Unterstützung sensibel anzubieten – oder auf eine Aufforderung zu warten.

Das abzuwägen, hat manchmal mit Zeit zu tun: „Zum Beispiel hat er seine Wohnung gestrichen. Und weil es viel länger dauert, mit ihm zusammen zu streichen, könnte ich sagen: Ich mach das. Aber das mache ich nicht, weil das nicht meine Aufgabe ist.“ Als ihre Aufgabe betrachtet Eilert in erster Linie das, worauf ihr Klient sie unmittelbar anspricht. Ihm ungefragt Dinge abzunehmen, nur, weil sie „es könnte“, kommt für sie nicht infrage: „Das ist theoretisch auch schon ein Übergriff. Zwar möchte ich jemandem eigentlich nur helfen, aber er hat nicht explizit gesagt, dass er das möchte. Im Laufe der Arbeit habe ich gemerkt, dass das Thema bei mir größer wird und dass ich eher darauf achte.“

Hier Orientierung zu finden, sieht sie als fortwährende Aufgabe, die viel Sensibilität erfordert. Eindeutig scheint es ihr bei eingespielten, wiederkehrenden Tätigkeiten, bei denen jemand grundsätzlich Unterstützung benötigt oder möchte. Ansonsten, sagt sie, „ist es auch immer tagesformabhängig“ – hat also auch damit zu tun, wie wach, gesund, wie aufmerksam ihr Klient gerade ist. Im Zweifelsfall „geht man hin und fragt, ob er was braucht, ob man ihn unterstützen kann. Das ist jeden Tag so ein Abwägen.“

Bewusst die Grenze zur Freundschaft navigieren

Assistenz ist ein enges Unterstützungsverhältnis, in dem man sich gut kennenlernt. „Ich bin 12 Stunden da“, meint Klee, „verbringe mit meinem Klienten also eigentlich mehr Zeit als mit meinem Kind. Auch wenn ich nicht die ganze Ziert mit ihm quatsche.“ Dabei ist ihm wichtig, dass das Verhältnis von gegenseitiger Sympathie geprägt ist: „Für mich ist es wesentlich einfacher, wenn ich denjenigen wirklich mag, als wenn ich es nur so runterarbeite.“

Wie es seinem Klienten geht, lässt Klee nicht kalt. „Je näher ich an jemandem dran bin“, meint er, „desto mehr trifft es mich auch, wenn mit ihm gesundheitlich irgendwas ist. Ich kann das nicht abschalten und ich will es auch ehrlich gesagt nicht.“

Sein Ziel ist es, bewusst die Grenze zur Freundschaft zu navigieren:

Ich mag ihn wirklich gern. Nichtsdestotrotz weiß ich, dass ich als Assistent da bin und nicht als sein Kumpel. Wir unterhalten uns viel, aber ich bin auch bemüht, immer mitzubekommen, wann ich ihn sein Ding machen lasse und mich besser zurückziehe.

Niklas Klee

Persönlicher Assistent

Unverzichtbar: der eigene Kompass
Foto: Victor Miyata

Viele Wege führen zur Assistenz, diese aber stets zur Selbstbestimmung

Persönliche Assistenz ist vieles nicht: Sie ist als Beruf nicht besonders bekannt; sie ist selten jemandes professionelles Ziel. An ihrem Arbeitsalltag lässt sich kaum etwas als ‚typisch‘ beschreiben. Und auch die ‚typischen‘ Assistenzkräfte gibt es nicht – genauso wenig wie die typischen Assistenznehmenden.

Ganz unterschiedliche Menschen kommen mit ihren Erfahrungen und Idealen im Assistenzberuf an und gestalten auf dieser Basis das Unterstützungsverhältnis mit. Wie die Erzählungen der beiden Assistenzkräfte zeigen, lässt sich Persönliche Assistenz ebenso über den Quereinstieg wie zum Einstieg ins Berufsleben erreichen.

Grundkenntnisse der Pflege sind Voraussetzung, ebenso auch eine empathische, freundliche Grundhaltung. Daneben greifen Assistenzkräfte aber auf ganz unterschiedliche Ressourcen zurück: der eine eher auf Intuition und Lebenserfahrung, die andere eher auf Reflexion und Wissen aus ihrem Studium. Was für Assistenzkraft und Assistenzkraft jeweils „passt“, müssen sie immer wieder miteinander klären.

Unabhängig von ihrer individuellen Lebensgeschichte und ihren jeweiligen Einstellungen navigieren die beiden mir ihren Klient:innen auf jeweils eigene Art ganz ähnliche Grenzen: die Grenze zwischen Anbieten und Aufdrängen; die Grenze zwischen einer persönlich-authentischen und einer freundschaftlichen Beziehung. Auch das erklärte Ziel bleibt für sie letztendlich das gleiche: die Selbstbestimmung der Menschen, für die sie arbeiten.

*Die Namen wurden durch die Redaktion geändert.