Der Klimawandel stellt eine der größten Herausforderungen unserer Zeit dar. Soziale Arbeit bleibt davon nicht unberührt, denn Umweltgerechtigkeit hat immer auch mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Außerdem haben auch soziale Hilfen und Organisationen einen ökologischen Fußabdruck. In diesem Artikel beleuchten wir, wie sich die Soziale Arbeit aktiv im Kampf gegen den Klimawandel positioniert und neue Ansätze in ihre Praxis integriert – von Green Social Work bis hin zu einem Fokus auf Nachhaltigkeit.
Überschwemmungen, Hitzewellen, Dürre: Die Folgen des Klimawandels immer werden immer stärker und häufiger spürbar. Dabei zeigt sich auch, dass diese Ereignisse sich ungleich auf die Weltbevölkerung auswirken. Besonders der Globale Süden, aber auch bestimmte Gruppen im Globalen Norden sind stärker davon betroffen.
So ist es für Menschen mit geringem Einkommen schwerer, mit gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise oder mit Sachschäden durch Katastrophen umzugehen. Auch Menschen mit Behinderungen sind statistisch häufiger und stärker von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen.
Lesetipp
In unserem Blogbeitrag „Günstige Bahntickets, aber volle Rollstuhlabteile?“ geht es um Inklusionslücken der Klimapolitik – und darum, wie wir sie schließen können.
Das heißt: Die Klimakrise ist auch eine Krise sozialer Gerechtigkeit. Daher widmet sich auch die Soziale Arbeit immer mehr diesen Themen zu und sucht nach Möglichkeiten, sie in ihre Praxis zu integrieren. Aktuell geschieht das häufig unter dem Stichwort „Green Social Work“.
„Green Social Work“ bringt ökologisches und soziales Denken zusammen
Der Begriff der „grünen“ Sozialen Arbeit wurde durch die britische Sozialarbeitsprofessorin Lena Dominelli geprägt. 2012 veröffentlichte sie ihr Buch „Green Social Work – From Environmental Crises to Environmental Justice“. Dominelli geht es darum, Nachhaltigkeit und Umweltgerechtigkeit als selbstverständlichen Teil in die Sozialen Arbeit zu integrieren.
Ein ganzheitlicher Ansatz mit starkem Wertesystem
Zwischenmenschliche Beziehungen – einschließlich Unterstützungsbeziehungen – stehen immer im globalen Kontext, in dem sie sich ereignen. Green Social Work versteht sich daher als ganzheitlicher Ansatz, der Beziehungen in ihrem gesellschaftlichen und klimatischen Kontext sieht und die gegenseitige Abhängigkeit von Mensch und Umwelt beachtet.
Green Social Workers beziehen sich außerdem – wie auch andere Sozialarbeitende – auf Gerechtigkeit. Für sie stehen dabei jedoch Nachhaltigkeit und die Verteilung von Ressourcen stehen im Vordergrund. Dominelli dazu:
Das Wertesystem von Green Social Work betont Gleichheit, soziale Inklusion, die gerechte Verteilung von Ressourcen und die Verpflichtung, Ressourcen nicht zu zerstören, damit diese für zukünftige Generationen von Menschen, Tieren, Pflanzen und den Planeten Erde erhalten oder nachhaltig genutzt werden können. Green Social Work verfolgt einen auf Rechten basierenden Ansatz, um die Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen und ihnen zu ermöglichen, ihre Talente auf ethische und nachhaltige Weise zu entwickeln.
Dominelli entwickelt Green Social Work angesichts zunehmender Katastrophen. Dabei macht es für sie angesichts eines kapitalistischen, ausbeuterischen Systems letztlich keinen Unterschied mehr, ob diese Katastrophen „natürlich“ oder durch den Menschen verursacht wurden. Schließlich sind auch der Klimawandel und die daraus folgenden „Naturkatastrophen“ durch menschliches Handeln verursacht.
Kapitalismuskritik: Umweltgerechtigkeit ist immer auch soziale Gerechtigkeit
Arme Menschen leben und arbeiten in den zerstörten Umgebungen, die das industrielle System ernähren.
Für den Klimawandel sind unsere globalisierte Wirtschaft und das industrielle Produktionssystem (mit-)verantwortlich. Diese Systeme basieren auf der Ausbeutung mancher für den Lebensstil anderer. Häufig sind dabei genau die Gruppen benachteiligt, die durch die Folgen des Klimawandels auch stärker betroffen sind, beispielsweise Menschen im Globalen Süden. Hier sind Schäden an Ökosystemen bereits offensichtlich.
Einige dieser Gebiete könnten aufgrund der steigenden Temperaturen zukünftig für menschliches Leben kaum mehr geeignet sein. Wie eine aktuelle Studie (Lenton et al. 2023) zeigt, könnte das im Jahr 2100 unter anderem große Teile Brasiliens und Indiens betreffen. Die Autor:innen der Studie berechneten die Temperaturen in allen Erdregionen unter der Bedingung, dass die globale Temperatur im Schnitt um 2,7 Grad steigt – und darauf deuten aktuelle Berechnungen hin.
Die Erde, die uns ernährt, wird derzeit von 1 % der Bevölkerung für sich selbst ausgebeutet. Ihre Zerstörung hat schwere Auswirkungen auf die 99 Prozent.
Daher muss das Wirtschaftssystem Dominelli zufolge neu gedacht werden, und zwar in vielen Komponenten: unter anderem Güterverteilung, Nutzung planetarer Ressourcen und die Perspektiven kommender Generationen. Es braucht ein neues System, das auf Umverteilung und Regeneration ausgerichtet ist.
Laut Dominelli sind diese Fragen und Themen für Sozialarbeitende wichtig, weil diese für das Wohl ihrer Adressat:innen (mit‑)verantwortlich sind. Das sind in weiten Teilen auch diejenigen, die unter den Folgen sozialer Ungerechtigkeit – wozu auch Umweltungerechtigkeit gehört – leiden. Moralisch sieht Dominelli es daher als Verpflichtung Sozialarbeitender, auch zu untersuchen, wie es zu dieser Ungerechtigkeit kommt – und dagegen anzugehen.
Community-Orientierung: verletzliche Gemeinschaften besser schützen
Green Social Work geht es um den Schutz von Communitys. Das heißt: Alle Mitglieder einer Community, zum Beispiel eines Stadtteils, sollen bestmöglich vor den Auswirkungen des Klimawandels geschützt sein.
Daher bezieht der Ansatz ganz verschiedene Mitglieder lokaler Gemeinschaften ein, zum Beispiel Anwohnende eines Stadtteils, aber auch weitere Akteur:innen wie kommunale Verwaltungen, Geschäfte oder NGOS. Zusammen sollen erst einmal Risiken, Bedürfnisse und Bedrohungen analysiert werden. Dann gilt es, nach Veränderungsmöglichkeiten und Perspektiven suchen, unter der Frage: Wie kann die Resilienz für die Community erhöht werden?
Die konkreten Ziele können unterschiedlich aussehen. Möglich ist unter anderem die Vermeidung von Überflutungen durch verbesserte Infrastruktur, aber auch ein gerechterer Umgang mit den Folgen der Katastrophen durch bessere Nothilfe für marginalisierte Gruppen.
Hier wird deutlich, dass die Soziale Arbeit allein diesem Anspruch nicht gerecht werden kann. Dominelli denkt Green Social Work daher als transdisziplinäres Projekt, das Menschen aus ganz unterschiedlichen Berufsgruppen und Lebenswelten einbezieht. Dabei können Sozialarbeitende unterschiedliche Rollen erfüllen, beispielsweise:
- Bewusstseinsbildende: verbreiten von Informationen über Klimaszenarien und Lösungsansätze
- Koordinierende: stimmen Bewohner:innen, verschiedene Akteur:innen der Community, Ressourcen und Aktivitäten miteinander ab
- Übersetzende: vermitteln und „übersetzen“ zwischen lokalem Wissen und dem von Expert:innen
- Lobbyist:innen: fördern präventive Maßnahmen vor Ort und setzen sich für politische Veränderungen ein
Green Social Work versteht sich also als ganzheitlicher Ansatz mit starkem Wertesystem, das Nachhaltigkeit und Umweltgerechtigkeit zentral setzt. Weil soziale Gerechtigkeit damit eng verknüpft ist, beinhaltet das Konzept immer auch Kapitalismuskritik. Communitys und ihre Strukturen stehen im Fokus, damit letztlich alle ihrer Mitglieder besser gewappnet sind. Insgesamt setzt sich Green Social Work für eine politische Praxis der Sozialen Arbeit ein.
Nachhaltigkeit in der Sozialen Arbeit
Das Etikett der Nachhaltigkeit ziert seit einigen Jahrzehnten ganz verschiedene Ansätze, die verantwortungsbewusster mit Ressourcen umgehen wollen. Auch in der Sozialen Arbeit hat es sich längst verbreitet. Aber:
Was bedeutet Nachhaltigkeit?
Nachhaltigkeit oder nachhaltige Entwicklung bedeutet, die Bedürfnisse der Gegenwart so zu befriedigen, dass die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht eingeschränkt werden.
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
So weit, so gut. Aber was gehört dazu? Nachhaltigkeit wird meist in drei Dimensionen gedacht:
- Ökologische Nachhaltigkeit: Es geht um Natur und Umwelt, beispielsweise um den Schutz der natürlichen Ressourcen der Erde, durch Müllvermeidung und den Schutz der Wälder.
- Ökonomische Nachhaltigkeit: Es geht um Wachstum und Geld, beispielsweise um faires – statt rein profitorientiertes – Handeln von Unternehmen.
- Soziale Nachhaltigkeit: Es geht um ein gutes Leben für alle Menschen, beispielsweise um gute gesundheitliche Versorgung und Bildung – mit einem Fokus auf sozialer Gerechtigkeit (Pufé 2024).
Der Gedanke liegt nahe, dass für Soziale Arbeit vor allem die soziale Dimension der Nachhaltigkeit von Bedeutung ist. Aber auch Organisationen der Sozialen Arbeit verwenden Ressourcen wie Benzin und Geld und können reflektieren, wie sie mit diesen umgehen. Daher können grundsätzlich alle drei Nachhaltigkeitsdimensionen auch in der Sozialen Arbeit mitgedacht werden.
Nachhaltigkeit bei Entscheidungen mitdenken – aber wie?
In alle Entscheidungsprozesse von Sozialarbeitenden und ihren Organisationen können Nachhaltigkeitsgedanken einbezogen werden. In der Praxis geschieht das sehr unterschiedlich. Das hat unter anderem damit zu tun, dass es verschieden starke Orientierung bzw. Paradigmen von Nachhaltigkeit gibt. Diese hat Reinhard Steuerer (2001) beschrieben:
- Schwache Nachhaltigkeit: Wirtschaftliches Wachstum und ökologische Beanspruchung können und sollen in eine Harmonie gebracht werden.
- Mittlere oder ausgewogene Nachhaltigkeit: Umweltpolitik kann und soll eine positive gesellschaftliche Wende bewirken.
- Starke Nachhaltigkeit: Es gibt immer einen Konflikt zwischen Wachstum und Nachhaltigkeit – darum sollte Wachstum an sich kritisch betrachtet und Ressourcen sollten geschont werden.
In diesem Sinne kann sich auch Soziale Arbeit stärker oder schwächer nachhaltig positionieren. Was das genau bedeutet, ist stark vom jeweiligen Handlungsfeld, den konkreten Umständen und Ressourcen abhängig.
Yannick Liedholz (2023) zeigt an einem Praxisbeispiel, wie die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit unterschiedlich berücksichtigt werden kann. Die Ausgangssituation: Ein sozialer Träger will mehrere WGs für Menschen mit Lern- bzw. leichten Behinderungen gründen. Dazu beschreibt Liedholz drei verschiedene Nachhaltigkeitsszenarien:
- Schwache Nachhaltigkeit: In einer Neubausiedlung baut der Träger ein Mehrfamilienhaus. Dabei werden Mindeststandards der Energieeffizienz beachtet. Um das Gebäude herum werden eine leicht zu pflegende Steinfläche und Hecke angelegt.
- Mittlere Nachhaltigkeit: Das neue Mehrfamilienhaus wird als nachhaltiges Pionierprojekt aufgebaut. Es entsteht ein Niedrigenergiehaus mit Solaranlage. Dazu gehört ein vielfältiger Garten, dessen Gestaltung und Pflege Teil des pädagogischen Programms sind.
- Starke Nachhaltigkeit: Der Träger wählt einen anderen Standort und kauft Wohnungen in einem älteren Mehrfamilienhaus. So werden ein hoher Energieverbrauch und die Versiegelung des Bodens für den Neubau vermieden. Das Geld wird in die Renovierung und energetische Sanierung des Altbaus investiert.
Alle drei Vorgehensweisen des Trägers sind an Nachhaltigkeit orientiert. Das Ergebnis sieht jedoch völlig anders aus – je nachdem, ob der Träger an eine Balance zwischen Wachstum und Umweltschutz glaubt, sich sichtbar für eine gesellschaftliche Wende einsetzen will oder seinen Fokus darauf legt, Ressourcen zu schonen. So verschieden zeigen sich Nachhaltigkeitsorientierungen in der sozialarbeiterischen Praxis.
Angesichts des Klimawandels: neues Herausforderungen und Ansätze der Sozialen Arbeit
Soziale Arbeit steht immer in einem Spannungsfeld zwischen ihren Adressat:innen, der Gesellschaft und den Anforderungen und ethischen Grundsätzen der Profession selbst. Zwischen diesen Anforderungen wägen Sozialarbeitende fortwährend ab, wenn sie Entscheidungen treffen. Zunehmend rücken auch die verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit in diese Abwägungsprozesse und werden Teil von Entscheidungen.
Dazu kann es auch gehören, jeweils den ökologischen Fußabdruck der sozialarbeiterischen Maßnahme zu reflektieren: Welche Transportmittel nutzt die aufsuchende Soziale Arbeit? Wie viel Papierverbrauch ist wirklich noch nötig, zum Beispiel durch das Drucken von Akten und Formularen?
Dominellis Ansatz zeigt aber auch: Der Einfluss der “traditionellen” Sozialen Arbeit, die ihre Klient:innen im Blick hat, ist begrenzt. Darum kann und soll Soziale Arbeit sich einmischen und einbringen – und darf keine Angst haben vor neuen Akteur:innen und den „großen“ Themen. Denn auch die prägen Lebensgeschichten, Beziehungen und Unterstützungsverhältnisse immer mit.
Weiterlesen? Links und Literatur zum Thema
Dominelli, L. (2012). Green Social Work: From Environmental Crises to Environmental Justice. Polity.
Dominelli, L. (2018). Green Social Work in Theory and Practice: A New Environmental Paradigm for the Profession. In: Dominelli, L. (Hg.). The Routledge Handbook of Green Social Work, 9–20. Routledge.
Lenton, T. M., Xu, C., Abrams, J. F., Ghadiali, A., Loriani, S., Sakschewski, B., Zimm, C., Ebi, K. L., Dunn, R. R., Svenning, J. & Scheffer, M. (2023). Quantifying the human cost of global warming. Nature Sustainability, 6(10), 1237–1247. https://doi.org/10.1038/s41893-023-01132-6
Liedholz, Y. (2022). Starke und schwache Nachhaltigkeit. Eine Annäherung für die Soziale Arbeit. In: Liedholz, Y. & Verch, J. (Hg.). Nachhaltigkeit und soziale Arbeit: Grundlagen, Bildungsverständnisse, Praxisfelder, 37–50. Verlag Barbara Budrich.
Pufé, I. (2021, 7. Dezember). Was ist Nachhaltigkeit? Dimensionen und Chancen. bpb.de. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/188663/was-ist-nachhaltigkeit-dimensionen-und-chancen/
Schmitt, C. (2023). Sustainability, Social Work and Ecosocial Transformation. Sozial Extra, 47(5), 269–273. https://doi.org/10.1007/s12054-023-00620-5
Stamm, I. (2021). Ökologisch-kritische Soziale Arbeit: Geschichte, aktuelle Positionen und Handlungsfelder. Verlag Barbara Budrich.
Steuerer, R. (2001). Paradigmen der Nachhaltigkeit. Zeitschrift für Umweltpolitik & Umweltrecht, 4, 537–566.
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