Außerdem geht es um die Bedeutung von Sprache(n) in der Beratung und darum, was sich in der Berliner Verwaltung noch verändern kann – zum Beispiel durch Schulungen und Öffentlichkeitsarbeit. Das Interview führte Maria Milbert.
Die „Antidiskriminierungsberatung Alter, Behinderung, chronische Erkrankung“ …
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Ein niedrigschwelliges Beratungsangebot
Maria Milbert: Im ersten Teil unseres Gesprächs hast Du berichtet, dass sich Menschen immer häufiger mit ihren Diskriminierungserfahrungen an die Antidiskriminierungsstelle wenden. Diese Erfahrungen liegen zum Beispiel in den Bereichen der Arbeit, Kultur oder Verwaltung. Wenn jetzt jemand mit einem Anliegen zu Euch kommt, wie ist dann der Verlauf?
Anna Heidrich: In der Regel melden sich Menschen bei uns per E-Mail oder telefonisch. Wir bieten aus verschiedenen Gründen keine offene Sprechstunde an, sind aber Montag bis Freitag erreichbar. Dann gibt es eine kurze Einschätzung per E-Mail oder per Telefon dazu, ob wir überhaupt zuständig sind.
Die Voraussetzung ist, dass die Person in Berlin lebt bzw. sich der Fall hier abgespielt hat. Außerdem muss die Merkmalszugehörigkeit gegeben sein, die Diskriminierungserfahrung sollte also mit Alter oder Behinderung oder chronischer Krankheit zu tun haben. Wenn beide Punkte zutreffen, sind wir ganz klar zuständig. Wenn nicht, verweisen wir weiter.
Maria Milbert: Es gibt nämlich auch noch Antidiskriminierungsstellen für andere Merkmale.
Anna Heidrich: Ja, zum Beispiel zu Rassismus. Berlin ist da sehr gut aufgestellt.
Ansonsten geht es in die Terminfindung. Wir bieten dann eine Erstberatung an, die entweder vor Ort bei uns, am Telefon oder online durchgeführt wird. Das Gespräch geht in der Regel eine Stunde. Das ist aber nicht in Stein gemeißelt – zunächst geht es darum, erste Schritte zu besprechen. Wir nehmen auch häufiger nach zwei Wochen noch mal das Gespräch auf.
Maria Milbert: Wie lange dauert es meist von der ersten Kontaktaufnahme bis zum Erstgespräch?
Anna Heidrich: Es geht relativ schnell. Wir versuchen, das Gespräch in den nächsten Tagen zu platzieren.
Erstes Ziel: „mit der Gegenseite in eine Aushandlung zu kommen“
Maria Milbert: Was für konkrete Hilfe bietet Ihr außer der Beratung noch an?
Anna Heidrich: Wir bieten konkret an, dass wir mit der Gegenseite in Kontakt treten, also mit der Seite, die sozusagen die Diskriminierung verantwortet hat. Das passiert in der Regel per Brief, indem wir eine Beschwerde schreiben. Wir können aber auch dort anrufen.
Dabei ist die Idee, dass wir die Diskriminierung oder die diskriminierende Erfahrung aufzeigen und versuchen, mit der Gegenseite in eine Aushandlung zu kommen. Was dann konkret erreicht werden soll, liegt auch an der ratsuchenden Person.
Maria Milbert: Welche Ziele und Wünsche gibt es da zum Beispiel?
Anna Heidrich: Manche wünschen sich, dass die Gegenseite sich entschuldigt. Aber es kann auch sein, dass eine Person bestimmte Forderungen hat, zum Beispiel die Umsetzung eines behindertengerechten Arbeitsplatzes.
Auch nach den Antidiskriminierungsgesetzen können Ansprüche geltend gemacht werden, zum Beispiel nach dem AGG – je nachdem, welchen Lebensbereich es betrifft. Auch nach einem Landesantidiskriminierungsgesetz ist es grundsätzlich möglich, und da geht es dann ja tatsächlich um Entschädigungszahlungen.
Antidiskriminierungsgesetze
Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG): Es gilt in Berlin und schließt weitere Diskriminierungsmerkmale wie sozialen Status und chronische Erkrankungen ein. Ziel ist es, Lücken im AGG zu schließen und das Vorgehen bei Diskriminierung in Berlin klar zu regeln. (Quelle: Berliner Senatsverwaltung)
Sozialgesetzbücher: enthalten eigene Vorschriften gegen Diskriminierung. Für Menschen mit Behinderungen gelten insbesondere das SGB I (allgeminer Teil) und das SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe). (Quelle: Behindertenbeauftragter der Bundesregierung)
Behindertengleichstellungsgesetz (BGG): regelt die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen im Bereich des öffentlichen Rechts auf Bundesebene. (Quelle: Behindertenbeauftragter der Bundesregierung)
Manchmal führt der Weg in die Klage
Maria Milbert: Okay, Ihr kontaktiert auf Wunsch der ratsuchenden Person die betreffende Stelle. Und unterstützt Ihr dann auch weiterführend bei rechtlichen Schritten, zum Beispiel bei der Einleitung gerichtlicher Verfahren?
Anna Heidrich: Wir beraten vor allen Dingen nach dem AGG und nach dem LADG. Darüber hinaus gibt es aber auch bestimmte Ansprüche aus dem SGB. Wir schauen dann, was mehr zutrifft. Wenn es jetzt ein Fall ist, der sich vor allen Dingen im Bereich des AGG abspielt und zum Beispiel die Gegenseite nicht oder nicht angemessen reagiert, obwohl man schon Ansprüche geltend gemacht hat, kommt man in die Klagefrist.
In dem Zusammenhang dürfen wir zu Rechten beraten, aber keine klassische Rechtsberatung durchführen. Das ist nicht unser Auftrag.
Maria Milbert: Das müssen Jurist:innen machen?
Anna Heidrich: Ja, wir können anhand unserer Erfahrung eine Einschätzung geben, aber zum Beispiel nicht sagen: Ja, das wird auf jeden Fall erfolgreich sein oder nicht. Wenn eine Person den Weg der Klage gehen will, prüfen wir, ob sie Anspruch auf einen Beratungsschein hat. Aber wenn es dann im Verfahren konkrete Schwierigkeiten gibt, zum Beispiel mit Prozesskostenhilfe, übernehmen wir das nicht mehr. Das betrifft schon konkret zuständige Anwält:innen. Aber wir würden bei der Suche nach passenden Jurist:innen begleiten.
Öffentlichkeitsarbeit: Themen platzieren und zugänglich machen
Maria Milbert: Du hast auch Eure Öffentlichkeitsarbeit angesprochen. Was macht Ihr hier, also abseits vom direkten Kontakt mit Ratsuchenden?
Anna Heidrich: Zum einen haben wir relativ viele Materialien veröffentlicht, von Flyern über unser Beratungsangebot bis hin zu einer Broschüre über Altersdiskriminierung. Das findet man alles online. Auch zum LADG haben wir Material herausgebracht. Zum anderen machen wir eigentlich jedes Jahr eine größere Veranstaltung.
Maria Milbert: Zum Beispiel den Fachtag zur Sprache.
Anna Heidrich: Genau. Bei einem weiteren Fachtag ging 2023 um Diskriminierung im Gesundheitswesen. Wir haben immer Themen, die wir platzieren wollen und zu denen wir entsprechende Referent:innen und Netzwerk-Partner:innen anfragen. Diese Veranstaltungen sind öffentlich.
Wir haben auch einen Newsletter, auf den man sich setzen lassen kann, um die Infos zu bekommen, und wir freuen uns über alle Teilnehmenden. Manches bieten wir auch im Online-Format an, sodass die Teilnehmendenzahl nicht begrenzt ist.
Sprache: mehr als Wort und Schrift
Maria Milbert: Es ging bereits kurz um Dolmetschen, lass uns also über die Relevanz von Sprache sprechen. Inwiefern ist Sprache bedeutsam für Eure Arbeit?
Anna Heidrich: Sie ist tatsächlich sehr, sehr wichtig für uns. Sprache ist ja auch zunächst ein Riesenbegriff, der in Bezug auf Behinderung viel meinen kann.
Dolmetschen: Beratung und Information soll in allen Sprachen verfügbar sein
Maria Milbert: Was bedeutet das für Euch konkret?
Anna Heidrich: Wir versuchen, sowohl in unserer Beratungspraxis als auch auf Veranstaltungen immer Gebärdensprachdolmetscher:innen zu integrieren. Glücklicherweise haben wir ein Budget dafür. Es hat aber leider auch seine Grenzen.
Meine Erfahrung ist, dass Gebärdensprachdolmetschen gut genutzt wird. Eigentlich nehmen an jeder unserer Veranstaltungen taube Menschen teil.
Maria Milbert: Wird auch in anderen Sprachen gedolmetscht?
Anna Heidrich: Es kommt relativ selten vor, aber auch dafür gibt es Kapazitäten.
Maria Milbert: Das heißt, es melden sich selten Menschen mit Bedarf, in anderer Sprache das Gespräch zu führen.
Anna Heidrich: Ja. Was wir auch selbst anbieten, ist Englisch. Das kommt häufiger vor. Eine Kollegin spricht außerdem Polnisch, auch das wird ein paar Mal im Jahr genutzt. Für andere Sprachen müsste die Person ihren Bedarf anmelden, dann lassen wir das dolmetschen.
Zur Beratung finden, ohne viel lesen zu müssen – durch Leichte Sprache und Visuelles
Maria Milbert: Was umfasst Euer Angebot sonst noch im Bereich der Sprache?
Anna Heidrich: Wir unternehmen viel im Bereich Leichte Sprache. Unsere Öffentlichkeitsarbeit ist zumindest in Teilen in Leichter Sprache gehalten. Dazu gehören auch ein Erklärfilm, ein Papier- und ein Online-Flyer. Jetzt gerade versuchen wir, unsere ganzen Dokumente für Adressat:innen, beispielsweise Vollmachten, in Leichte Sprache zu übersetzen.
Wir nutzen auch viel Graphic Recording auf Veranstaltungen, das geht ja auch ein Bisschen in den Bereich. Außerdem haben wir ein Wegbeschreibungsvideo herausgebracht. Dazu wurde der Weg zu unserer Beratungsstelle gefilmt und mit einer Stimme unterlegt.
Maria Milbert: Damit man die Beratungsstelle leichter findet oder sich das besser vorstellen kann?
Anna Heidrich: Und auch einfach nicht lesen muss. Man kann theoretisch mit dem Handy aus der U-Bahn steigen und diesen Weg ablaufen.
Maria Milbert: Ist auch genderinklusive Sprache bei Euch ein Thema?
Anna Heidrich: Ist es auf jeden Fall. Wir nutzen genderinklusive Sprache für uns selbst in der Beratung. Auch machen wir viel Netzwerkarbeit und wollen für unsere Öffentlichkeitsarbeit diesen Ansprüchen nachkommen.
Ausschnitt aus dem Graphic Recording zum Fachtag „Sprache und Antidiskriminierung“
Die Berliner Verwaltung braucht mehr Wissen – zum Beispiel durch Schulungen
Maria Milbert: Mit Eurer Öffentlichkeitsarbeit platziert Ihr Themen, informiert und diskutiert. Gibt es öffentliche Themenbereiche, zum Beispiel in der Berliner Verwaltung oder in der Stadtstruktur, die problematisch sind oder wo Ihr aus eurer Arbeit heraus Veränderungsbedarf seht?
Anna Heidrich: Ich glaube, die Verwaltung ist einer dieser großen Bereiche, die nach wie vor in vielerlei Hinsicht sehr rückständig sind. Das geht von den Gegebenheiten vor Ort bis hin dazu, wie Menschen angeredet werden, wie die Kommunikation abläuft, wie mit diesen ganzen Formularen umzugehen ist, auch im Kontext der Digitalisierung. Wir haben viel mit Bürger- und Jugendämtern zu tun, da ist meiner Erfahrung nach einfach sehr wenig Wissen über Diskriminierung gegeben.
Man müsste eigentlich für alle grundständige Schulungen anbieten, zum Thema Diskriminierung und Behinderung. Auch Rassismus scheint mir in vielen Punkten ein Riesenproblem. Gendergerechte oder inklusive Sprache ist nun auch nicht so verbreitet. Ich glaube, da wird nach wie vor viel nicht umgesetzt.
Maria Milbert: Weil die verantwortlichen Personen um die Herausforderungen um die Notwendigkeit gar nicht wissen?
Anna Heidrich: Ich glaube, weil Diskriminierung in deren Arbeitsalltag einfach keine Rolle spielt. Eigentlich ist es wichtig, aber die Auseinandersetzung wird nicht unbedingt gefördert. Es sind alt eingesessene Strukturen, die sich nur sehr langsam verändern und wo erst einmal viel Druck von außen kommen muss.
Es gibt im LADG tatsächlich einen Paragraphen, der vorsieht, dass Verwaltungspersonal geschult wird. Dabei geht es aber nur um die landeseigenen Stellen. Das wäre aber auch schon ein Anfang. Diese Stellen sind eigentlich dazu verpflichtet, ihre Mitarbeiter:innen in Bezug auf Diversity und Vielfalt zu schulen.
Maria Milbert: Wenn eure Öffentlichkeitsarbeit funktioniert, was musst Du in zehn Jahren niemandem mehr erklären?
Anna Heidrich: Was Diskriminierung ist. Und warum es wichtig ist, dass wir Zugänge schaffen und dass wir inklusiv denken und arbeiten.
Lesetipp
Im ersten Teil des Interviews sprachen wir über Zugangsbarrieren, starre Arbeitsstrukturen mögliche Folgen von Diskriminierungserfahrungen.