Soziale Arbeit setzt sich ein – für Gerechtigkeit, Teilhabe, Menschenrechte. Gegen Diskriminierung und für die gesellschaftliche Gleichberechtigung verschiedener, auch benachteiligter Gruppen. Aber wie sieht es innerhalb sozialer Einrichtungen aus? Wie inklusiv sind sie für Arbeitnehmende und Bewerber:innen mit Behinderung? Inwiefern spielt die soziale Klasse – zum Beispiel der Bildungsstand der Eltern – im Studium Sozialer Arbeit eine Rolle?

Wie inklusiv sind Soziale Träger?

Um das einschätzen zu können, hilft zunächst ein Blick auf den Arbeitsmarkt allgemein. Im Jahr 2019 waren 57 % Prozent der Menschen mit Behinderung in Deutschland am Arbeitsmarkt beteiligt – also arbeitstätig oder auch nur arbeitssuchend. Diese Zahl steht 82% der Menschen ohne diagnostizierte Behinderung gegenüber – 25 Prozentpunkte mehr.

Allerdings werden vom statistischen Bundesamt auch nur Personen mit Behinderung erfasst, die in Privathaushalten leben. Die Situation der Bewohner:innen von Heimen floss also nicht in die Statistik ein. Daher kann davon ausgegangen werden, dass noch deutlich weniger als 57% der behinderten Menschen in Deutschland am Arbeitsmarkt teilhaben.

Sozialpsychologische und strukturelle Barrieren des Arbeitsmarkts

Der Arbeitsmarkt birgt eine Vielzahl von Barrieren für Menschen mit Behinderungen. Das zeigt eine Untersuchung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Kardorff & Ohlbrecht, 2013). Obwohl sich die Einstellungen der Bevölkerung im Zusammenhang mit Behinderungen insgesamt verbessert haben, erleben behinderte Arbeitnehmer:innen weiterhin Vorurteile und Vorbehalte. Diese Erfahrungen werden als sozialpsychologische Barrieren verstanden. Sie sind belastend und können in schwierigen Arbeitssituationen zum Rückzug beitragen.

Insbesondere kleine Firmen schrecken zudem vor dem bürokratischen Aufwand der Einstellung schwerbehinderter Menschen zurück, den sie als zu hoch einschätzen. Konzepte zur Inklusion fehlen in vielen Betrieben völlig. Insofern birgt auch die Struktur des Arbeitsmarktes Hindernisse im Zusammenhang mit Behinderungen – strukturelle Barrieren (ebd.).

Mit einer diagnostizierten Behinderung, so lässt sich festhalten, ist der Arbeitsmarkt deutlich schwerer zugänglich als ohne. Barrieren und Diskriminierung bilden sich weiterhin in den Zahlen und den Ergebnissen von Interviewstudien entsprechend ab.

Das Sozial- und Gesundheitswesen wirkt inklusiver als der Arbeitsmarkt insgesamt

Für einzelne Branchen gilt das in unterschiedlichem Maße. Laut dem Bundesamt waren 26% der erfassten Arbeitnehmenden mit Behinderung allein im Bereich „Erziehung und Unterricht sowie Gesundheits- und Sozialwesen“ tätig. Das macht den Sozial- und Gesundheitsbereich zum bedeutsamsten der einzeln erfassten Arbeitsbereiche.

Die Statistik gibt keine Auskunft darüber, in welchen Positionen diese Menschen arbeiten oder wie sie bezahlt werden; sie sollte vor dem Hintergrund bekannter Barrieren mit Vorsicht betrachtet werden. Dazu zählt der Disability Pay Gap, über den wir in einem anderen Artikel auf diesem Blog berichtet haben.

Vorsichtig lässt sich jedoch zusammenfassen, dass Soziale Arbeit und Erziehungsberufe inklusiver sind als alle anderen Branchen. Dabei fällt jedoch auf, dass Soziale Arbeit selbst sich wenig zu Inklusion in den eigenen Organisationen äußert.

Inklusion in sozialen Einrichtungen: das große Schweigen

Über Soziale Arbeit mit Menschen mit Behinderungen ist viel geschrieben worden. Die Disziplin setzt sich für Inklusion ein und macht Barrierefreiheit aktiv zum Thema (zusammenfassend Spatscheck & Thiessen, 2017).

Aber wie steht es um die Beschäftigungssituation von Menschen mit Behinderungen in der Sozialen Arbeit? Wie barrierefrei sind die Einrichtungen? Verfügen sie über Inklusionskonzepte? Im Zusammenhang mit Gender liegen Untersuchungen vor, die sich beispielsweise auf den Anteil von Frauen und Führungspositionen beziehen. Die Wohlfahrtsverbände hinterfragen sich dazu teils auch selbst, wie wir im letzten Beitrag dargestellt haben. Zur Diskriminierungskategorie Behinderung fehlen solche Untersuchungen bislang.

Die oben dargestellten Beschäftigungsquoten deuten an, dass Soziale Arbeit ein vergleichsweise inklusives Arbeitsfeld darstellt. Gleichsam wirkt das Fehlen der systematischen Selbstbetrachtung im Hinblick auf Inklusion Fragen auf. In sozialarbeiterischen Überlegungen zu Diversity Management (bspw. Dreas, 2019) wird Behinderung zwar als Kategorie mitgedacht, jedoch meist ohne spezifische Handlungskonzepte vorzuschlagen.

Will Soziale Arbeit ihr Selbstverständnis als Menschenrechtsprofession ernst nehmen, muss sie sich für Menschen mit Behinderungen nicht nur als Klient:innen, sondern auch als eigene Arbeitnehmende einsetzen. Dazu gehören konkrete Inklusionskonzepte und auch Untersuchungen der Organisationen selbst.

Klassismus in Sozialer Arbeit?

Klassismus

… bezeichnet die Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft und/oder der sozialen und ökonomischen Position. Es geht bei Klassismus also nicht nur um die Frage, wie viel Geld jemand zur Verfügung hat, sondern auch welchen Status er hat und in welchen finanziellen und sozialen Verhältnissen er aufgewachsen ist. (Quelle: Wörterbuch Diversity Arts Culture)
Daten und Analysen für Klassismus auf dem Arbeitsmarkt und in Organisationen sind kaum zu finden. Allerdings richten einzelne Analysen ihren Fokus auf den Zusammenhang von sozialer Klasse und Studium. Dabei wird auch das Studium der sozialen Arbeit berücksichtigt.

Sie zeigen: Überdurchschnittlich viele Menschen mit „niedriger Bildungsherkunft“ (Middendorf et al., 2013) studieren Soziale Arbeit. Ihr Anteil liegt deutlich höher als beispielsweise in der Humanmedizin, Mathematik oder BWL.

Bildungsabschlüsse bleiben teils in der Familie – auch in der Sozialen Arbeit

Allerdings ergibt eine aktuelle, explorative Studie: Weiterhin gibt es auch in der Sozialen Arbeit eine Reproduktion von Klassenzugehörigkeit. Das heißt, der Bildungsstand der Eltern bestimmt grundsätzlich – wie auch in anderen Fächern – den Zugang zum Studium mit:

Er führt zu einer hohen Anzahl von Student*innen der mittleren und oberen Klassen, während junge Menschen der unteren Klassen sich ein Studium oft gar nicht erst zumuten. Der Trend setzt sich fort über den Master, die Promotion bis hin zur Ebene der Professuren und fördert eine homogene Zusammensetzung des akademischen Settings.
Mathilda Rieck (2021, S.90)

Dieser Zusammenhang fällt in der Sozialen Arbeit also schwächer aus als in zahlreichen anderen Fächern, er ist aber weiterhin vorhanden. Zweitens, so Rieck weiter, tragen die Studierenden internalisierten Klassismus in sich. Dies wundert zunächst nicht, ist aber insofern wichtig, als dass sie auch ihren späteren Klient:innen und Kolleg:innen mit klassistischer Diskriminierung begegnen können. Rieck fordert daher eine klare Auseinandersetzung mit Klassismus im Studium der Sozialen Arbeit. Darüber schreibt sie:
Meine Hoffnung ist, dass so eine Fachkultur entsteht, in der Klassismus denselben Stellenwert wie andere Diskriminierungsformen bekommt und entsprechend thematisiert wird. Klassismus wäre dann ein fester Bestandteil des Studiums, was sich auch positiv auf die Praxis auswirken würde, da Professionelle nun wissen, wie sie die Differenzlinie Klasse in ihr professionelles Handeln integrieren können.
Mathilda Rieck (2021, S.91)

Andersherum gedacht: Vorteile nichtakademischer Herkunft

Kann die sogenannte ‚niedrige Bildungsherkunft‘ auch Vorteile bringen? Diese Frage warf gerade die Interviewstudie „Potenziale einer nichtakademischen Herkunft im Rahmen der Promotion“ (Otto, 2024) auf, unter deren 8 Interviewten 5 aus der Sozialen Arbeit und Erziehungswissenschaft kamen.

Wie die befragten Promovierten insgesamt erzählten, fanden sie im Elternhaus häufig Unterstützung. Sie gaben an, dort eine starke Arbeitsmoral erlernt zu haben und den Herausforderungen der Promotion gestärkter zu begegnen als Promovierte aus bildungsbürgerlichen Elternhäusern. Sie sprachen über ihre familiäre Herkunft in vieler Hinsicht als Potenzial, als Hilfe auf ihrem Bildungsweg.

Fazit: Soziale Arbeit ist auf einem guten Weg – und hat noch viel zu tun

Wie steht es um die Gleichberechtigung in der Sozialen Arbeit? Mit dieser Frage begannen die beiden Artikel und warfen Schlaglichter auf verschiedene Aspekte der Thematik. Dabei zeichnet sich in mehrerer Hinsicht ab, dass Organisationen der Sozialen Arbeit im Vergleich zum Arbeitsmarkt allgemein gerechtere Arbeitsbedingungen aufweisen.

So finden sich hier vergleichsweise viele Frauen in Führungspositionen, wenngleich vor allem als Teilbetriebsleitung und seltener als Geschäftsführerin. Auch sind im Vergleich zu anderen Branchen mehr Menschen mit Behinderungen im Sozialwesen beschäftigt. Im Studium der Sozialen Arbeit spielt der soziale Hintergrund der Eltern eine geringere Rolle als in den meisten anderen Fächern – zumindest, was die Zugangsberechtigung betrifft.

Andererseits gibt es auch in der Sozialen Arbeit weiterhin viel zu tun – und viel zu untersuchen. Vor allem:

  • Gesellschaftlichen Rassismus und die Beteiligung von Menschen Migrationsgeschichte systematisch thematisieren – auch in den eigenen Unternehmen
  • Den Weg von Frauen in Leitungspositionen erleichtern – auch auf die erste Führungsebene
  • Die Situation von Bewerber:innen und Arbeitnehmenden mit Behinderung in der Sozialen Arbeit untersuchen und transparent machen
  • Klasse und Klassismus zum Thema machen – systematisch und bereits im Studium der Sozialen Arbeit

Das sind wichtige Aufgaben, denen sich die Soziale Arbeit stellen muss – wenn sie in ihrem Einsatz für Gerechtigkeit ernst genommen werden will.

Weiterlesen? Literatur zum Thema

Dreas, S. A. (2019). Diversity Management in Organisationen der Sozialwirtschaft: Eine Einführung. Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20546-1

Kardorff, E. von, & Ohlbrecht, H. (2013). Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen. Expertise im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Expertisen/expertise_zugang_zum_allg_arbeitsmarkt_f_menschen_mit_behinderungen.pdf?__blob=publicationFile&v=3

Middendorf, E., Apolinarski, B., Poskowsky, J., Kandulla, M., & Netz, N. (2013). Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2012. 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks durchgeführt durch das HIS-Institut für Hochschulforschung. https://www.uni-heidelberg.de/md/journal/2013/07/20_se_bericht.pdf

Otto, S. (2024). Potenziale einer nichtakademischen Herkunft im Rahmen der Promotion. Herkunftsbezogene Strategien Promovierter aus nichtakademischen Elternhäusern. socialnet GmbH. https://doi.org/10.60049/v3bvkgk6

Rieck, M. (2021). Klassismus im Studium der Pädagogik und Sozialen Arbeit. Beeinflusst Klassismus das Studium der Pädagogik und Sozialen Arbeit und wenn ja, wie könnte ein angemessener Umgang mit Klassismus innerhalb des Studiums aussehen? BIS-Verlag. https://oops.uni-oldenburg.de/5203/

Spatscheck, C., & Thiessen, B. (Hrsg.). (2017). Inklusion und Soziale Arbeit: Teilhabe und Vielfalt als gesellschaftliche Gestaltungsfelder. Verlag Barbara Budrich. and resources. https://aboutdisability.com/

Bilder: Shutterstock