Persönliche Assistenz ist der Zauberwürfel der Unterstützungsverhältnisse: eine vielseitige Sache, an der alles stimmen muss, damit es passt. Zur Assistenz gehören Assistenzkräfte und Assistenznehmende mit ihren Erfahrungen, Kenntnissen und Persönlichkeiten; oft ein Assistenzdienst und stets auch der sozialpolitische und gesellschaftliche Rahmen. In diesem Beitrag berichten zwei Assistenzkräfte aus ihrer individuellen Perspektive darüber, welche Bedingungen jeweils auf allen Seiten erfüllt sein müssen, damit sie ihrem Beruf gut und sicher nachgehen können.

Zauberwürfel Assistenz: Alle Seiten müssen stimmen
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Wer spricht: zwei Assistenzkräfte mit unterschiedlicher Erfahrung

Joana Eilert* und Niklas Klee* sind Assistenzkräfte und arbeiten fest im Team jeweils eines Klienten. Dabei greifen sie auf unterschiedliche Lebens- und Berufserfahrung zurück. So ist Klee im Quereinstieg nach vielfältigen anderen Tätigkeiten – unter anderem als Schauspieler – in seinem Beruf gelandet. Für Eilert ist es hingegen der erste richtige Job. Sie hat sich vor dem Hintergrund ihres Studiums der Sozialen Arbeit für die Assistenz entschieden.

In einem anderen Artikel auf diesem Blog berichten die beiden von Ihrem Alltag: wie sie ihren Beruf erleben, was sie daran schätzen und wie sie jeweils mit bestimmten Herausforderungen umgehen. Hier sprechen sie nun über verschiedene Seiten des Unterstützungsverhältnisses. Beginnend mit einem kritischen Blick auf ihre eigene Seite: die der Assistenzkräfte.

Was Assistenzkräfte brauchen: Empathie und Zurückhaltung

Empathie und Zurückhaltung, Herz und Hirn: die feine Balance der Persönlichen Assistenz
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Mit Blick auf die eigene Seite, also die der Assistenzkräfte, stellt Klee grundsätzlich fest: „Empathie hilft“. Das ist für ihn der Kern seines Berufs. Hinzu kommen praktische Fähigkeiten, also „pflegerische Sachen, zum Beispiel einen Lifter bedienen.“ Ansonsten zeichnen sich gute Assistenzkräfte für ihn vor allem durch „gesunden Menschenverstand“ aus. Und durch Achtsamkeit:

Das ist der Job, finde ich, dass man in den 12 Stunden seinen Klient:innen gegenüber Aufmerksamkeit hat.

Niklas Klee

Persönlicher Assistent

Auch Eilert versteht Empathie oder „Einfühlungsvermögen“ als wichtige Voraussetzung für ihren Job. Darüber hinaus sollte man vor allem eine Haltung des Pädagogisierens und Bevormundens vermeiden: „Man muss sich auch viel zurücknehmen können,“, sagt sie, „sodass man nicht die Mutti spielt, die sich um alles kümmert.“

Und vor allem sollte man Eilert zufolge „keine Berührungsängste haben oder sie ablegen“, um in der Persönlichen Assistenz zu arbeiten. Denn dort ist man

konfrontiert mit verschiedenen Dingen, die man sonst vielleicht nicht hat, wie Urinalkondome und Stomabeutel, medizinische und pflegerische Hilfsmittel. Wenn man nicht selbst schon mal jemanden gepflegt oder Kinder hat, betrifft einen das eigentlich eher nicht. Man muss gucken, ob man damit klarkommt.

Joana Eilert

Persönliche Assistentin

Assistenznehmende können das Arbeitsverhältnis bewusst (mit-)gestalten

Müssen Menschen bestimmte Voraussetzungen erfüllen, um Assistenz zu erhalten? Diese Frage wird häufig unter dem Stichwort der Regiekompetenz diskutiert und heftig kritisiert. Denn Assistenz, so argumentieren ihre Nutzer:innen, Organisationen und Unterstützer:innen, sollte allen zur Verfügung stehen, die damit selbstbestimmt leben möchten. Auch die beiden Assistenzkräfte sprechen mit Blick auf Assistenznehmende nicht von Voraussetzungen. Vielmehr erzählen sie, was sie selbst von ihrem Gegenüber benötigen, um gut und sicher arbeiten zu können.

Ausdrücken, wann und wobei man Unterstützung möchte – im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten

Für Eilert ist wichtig, dass ihr Klient im Rahmen seiner Möglichkeiten äußert, wann er Unterstützung braucht und möchte. Dieser, meint sie, „hätte gerne manchmal Hilfe so, dass er es nicht sagen muss.“ Wenn bestimmte Routinen noch nicht eingespielt oder geklärt sind, dann erlebt sie das als herausfordernd: „Keiner kann Gedanken lesen.“

Damit meint die Assistentin nicht, dass sich Assistenznehmende in Worten klar verständlich ausdrücken (können) müssten. „Bei nicht deutlich sprechenden Personen braucht es mehr Zeit“, fasst sie zusammen und bezieht sich auf eine Assistenznehmende, bei der sie gelegentlich als Vertretung arbeitet. „Man müsste sich dann mit ihr ganz klar hinsetzen, sich an einem ruhigen Ort Zeit für sie nehmen und alles nacheinander besprechen.“ Mit „viel Zeit“ und hoher Aufmerksamkeit ließe sich das Assistenzverhältnis auch dann sensibel und passend gestalten

Manchmal das Schwierigste: Besprechen, was man braucht und möchte
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Menschlich bleiben: Freundlichkeit und Authentizität auf beiden Seiten

Für Klee steht Menschliches im Vordergrund, und zwar vor allem eine freundliche Haltung:

Ich erwarte eigentlich von den Leuten, bei denen ich arbeite, dass man sich grundsätzlich erst einmal wohlgesonnen und freundlich behandelt.

Niklas Klee

Persönlicher Assistent

Gleichzeitig beschreibt er die Eigenheiten eines Unterstützungsverhältnisses, in dem zwei Charaktere sich über Jahre hinweg sehr gut kennenlernen. Und sagt über seinen Klienten:

Wir haben uns auch schon richtig gezofft. Aber ich behaupte mal, dass wir beide wissen, wie wir das zu nehmen haben. Und wenn das durch ist, dann ist es gut und dann wird nicht mehr darüber geredet. In jeder Beziehung streitet man sich auch mal.

Niklas Klee

Persönlicher Assistent

Auch ein langjähriges Arbeitsverhältnis ist für ihn also an erster Stelle eine Beziehung zwischen zwei Menschen, in der er authentisch agiert und die er bewusst gestalten will.

Die Seite der Organisation: sensibel einen sicheren Rahmen schaffen

Persönliche Assistenz kann direkt für Assistenznehmende geleistet werden – im sogenannten Arbeitgebermodell –, oder sie wird über eine Organisation organisiert, im Organisations- oder Dienstleistungsmodell. Sowohl Eilert als auch Klee arbeiten für eine Organisation(Phönix – Soziale Dienste). Auf der Basis dieser Erfahrung berichten sie, was sie für ihre Arbeit von der Organisation brauchen.

Das Fundament: Teamleitung, Supervision, Basisschulung

Eilert denkt dabei zunächst an das Team und dessen Leitung. Eine aktive, sensible Begleitung ihrer Arbeit ist ihr wichtig. Dazu gehört für sie eine präsente Teamleitung, die sich „kümmert“ und im Dialog mit den Assistenzkräften steht. Außerdem hilft die regelmäßige und verpflichtende Supervision, „weil man da das Team auch noch mal anders kennenlernt“.

Auch der Pflegebasiskurs, der eine Voraussetzung für den Assistenzberuf darstellt, ist für Eilert „total wichtig, als Grundlage“. Hier erhalten angehende Assistenzkräfte das theoretische und praktische Grundwissen für Ihren Beruf.

Darauf aufbauend: die Einarbeitung

Dieses Grundwissen bereitet nicht abschließend auf die konkrete Tätigkeit vor – dazu dient die Einarbeitung, die in Klees und Eilerts Fall durch die Organisation geleistet wurde. Eilert berichtet, dass sie dabei an drei aufeinanderfolgenden Tagen die jeweils eine Assistenzkraft begleitete und dann am vierten Tag selbstständig arbeitete. Letzteres war für sie „ein Bisschen wie ins kalte Wasser geschubst zu werden“. Andererseits konnte Ihr Klient selbst sie kompetent anleiten.

Inzwischen führt sie auch selbst Einarbeitungen durch und achtet darauf, neue Assistenzkräfte an ihren ersten Tagen sensibel zu begleiten. Besonders wichtig ist ihr „ein Gespräch zwischen Einarbeitung und erstem Tag“, an dem sie selbstständig arbeitet: „Fehlt da noch was? Fühlst Du Dich bereit?“. Diese Rücksprache brauche es, um sicher in die Tätigkeit zu starten.

Das Wichtigste ist oft das Schwierigste: Assistenz braucht ein festes Team

Assistenz braucht ein festes Team.
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„Jeder Klient freut sich, wenn er feste Leute hat,“ meint Klee und geht damit auf ein grundlegendes Thema der Assistenz ein: die Notwendigkeit und Herausforderung, ein festes Team aufrechtzuerhalten. „Ich weiß auch,“ sagt er, „wie es bei einem Pflegedienst ist: Je größer der ist, desto schwieriger wird es. Dann fehlt hier jemand und ist da jemand im Urlaub. Dafür kann der Pflegedienst nichts, das ergibt sich einfach so.“

Trotz dieser Herausforderungen betrachten beide Assistenzkräfte ein weitgehend festes Team als Voraussetzung gelingender Assistenz. Eilert betont das vor allem für die Arbeit mit Assistenznehmenden, für die es eine Herausforderung darstellt, sich verbalsprachlich klar auszudrücken: „Da bräuchte es eigentlich ein festes Team, das regelmäßig da ist und sie gut kennt.“ Ist das nicht der Fall, steige auch die Wahrscheinlichkeit, in der Assistenz „Grenzüberschreitungen“ zu erleben – weil nicht klar über Grenzen kommuniziert werden kann. Eilert ist daher „froh“, dass ihr „Klient mittlerweile ein festes Team hat, mit dem er gut klarkommt und in dem ihn jetzt mittlerweile auch alle gut kennen.“

Last but absolutely not least: eine Sensibilisierung für sexualisierte Gewalt

Grenzüberschreitungen umfassen für Eilert auch die Möglichkeit sexualisierter Gewalt. Dieses Thema ist ihr ein besonderes Anliegen, „weil Menschen mit Behinderung öfter betroffen sind von Gewalt, weil sie abhängig sind, auch von uns, von Assistenzkräften.“ Zusätzlich zu Schulungen und den – inzwischen verpflichtenden – Schutzkonzepten wünscht sie sich, dass die Thematik sexueller Übergriffe bereits in die Einarbeitung einbezogen wird und insgesamt Präsenz hat.

„Übergriffe können schnell passieren“, sagt sie. „Gerade auch bei der Pflege, die ist so intim. Da muss man als Assistenz super sensibilisiert und geschult sein – damit man lieber zu oft nachfragt in solchen Situationen, als dass es dann zu spät ist.

Joana Eilert

Persönliche Assistentin

Politik und Gesellschaft: Sichtbarkeit schaffen und Barrieren abbauen

Wer kennt Persönliche Assistenz – und warum nicht?

„Ich denke, durch Corona waren Pfleger:innen jetzt ein riesiges Thema. Aber nicht Persönliche Assistenz“, sagt Klee und wünscht sich damit eine größere öffentliche Sichtbarkeit des Berufs und seiner Fachkräfte. Auch die Sozialpolitik könnte sich aktiv dafür einsetzen, dass Persönliche Assistenz bekannter wird.

In dieser Richtung sieht auch Eilert Bedarf. Während Unternehmungen mit ihrem Klienten erlebt sie häufig, dass wenig Bewusstsein für Assistenzkräfte als Begleitpersonen besteht. So sei zum Beispiel „noch nicht überall angekommen, dass eigentlich die Assistenz keinen Eintritt zahlen muss.“

Bei manchen Clubs, bei manchen Kinos und Veranstaltungsorten heißt es dann: Hä? Assistenz? Pech gehabt, Sie zahlen jetzt.

Joana Eilert

Persönliche Assistentin

Sie wünscht sich, dass das Wissen über Assistenzkräfte als nötige Begleitpersonen verbreitet wird. Dann müssten auch sie und ihr Klient sich nicht jedes Mal erklären oder gar ausdiskutieren, dass die Assistenzkraft „nicht freiwillig zum Spaß“ da ist, „auch wenn sie es cool findet. Sie arbeitet.“

Bislang ist die nur kostenfreie Mitnahme einer Begleitperson für den öffentlichen Personenverkehr gesetzlich geregelt. Der gemeinsame Weg mit der U-Bahn endet jedoch allzu oft an der Clubtür – denn bei Events liegt die Entscheidung beim Veranstalter. Hier könnte eine gesetzliche Vorgabe Abhilfe und Klarheit schaffen.

Der lange, manchmal unmögliche Weg durch die Stadt: überall Barrieren

Gern verlässt der Mensch diese düsteren Hallen – wenn der Aufzug funktioniert.
Foto: Silvio Luiz

Schließlich nennt Eilert noch ein sozialpolitisches, aber auch gesamtgesellschaftliches Thema: Barrierefreiheit. Hier denkt sie zunächst an U-Bahn-Fahrten mit ihrem Klienten in Berlin.

Wir wollen nach Hause, sind schon ewig unterwegs, kommen bei seiner U-Bahn-Station an und der Aufzug geht nicht. Und dann fährt man wieder drei Stationen in eine andere Richtung und läuft den Weg. In dem Moment kann keiner was dafür, dass die blöde Technik kaputtgeht, aber es wäre gut, wenn es mehr Aufzüge gäbe. Dann müsste man sich nicht nur auf einen verlassen, der sowieso jede Woche kaputt ist.

Joana Eilert

Persönliche Assistentin

Die Verkehrssituation sei ohnehin herausfordernd – durch „unebene Straßen, Autos, Fahrradfahrer, und nun auch diese Roller, die überall auf den Bürgersteigen liegen und man kommt nicht vorbei.“ In dieser Richtung könnte auch politisch mehr geleistet werden, um die Stadt so zu gestalten, dass sie auch für Menschen in größeren E-Rollstühlen besser zugänglich ist.

Ihre Kritik an mangelnder Barrierefreiheit geht aber noch darüber hinaus: „In meiner Idealvorstellung kann ich als Rollstuhlfahrer auch am Sonntag einfach mal in irgendeinem Café brunchen.“ Einige Cafés seien zwar barrierefrei, „aber meistens ist da nicht genug Platz, um mit einem fetten E-Rolli überhaupt an irgendeinen Tisch zu kommen. Und der Tisch hat dann meistens auch nicht die richtige Höhe.“ Häufig würde zwar bedacht, einen Eingang und eine Toilette zu haben, die zugänglich sind, aber Konzepte von Barrierefreiheit reichten nicht weiter als das. In Eilerts Worten: „einfach schade.“

Fazit: Persönliche Assistenz, ein Zauberwürfel …

…, an dem alle Seiten stimmen müssen. Hier berichteten zwei Assistenzkräfte auf der Basis ihrer Erfahrung und auch subjektiven, persönlichen Haltung darüber, was aus ihrer Sicht zum Gelingen der Assistenz beiträgt. Ihre Schilderung gibt Ansätze zur Reflexion auf allen Seiten. Und sie zeigt: Es ist noch viel zu tun – nicht zuletzt auf der Ebene der Gesellschaft und des politischen Umfeldes. Was können wir dazu beitragen?

Lesetipp

Um die Frage der Gelingensbedingungen für Assistenz ging es auf diesem Blog schon einmal aus einer anderen Sichtweise: im Interview mit Ina Frixel, einer Fachberaterin für Persönliche Assistenz. Inas Position: “Wir müssen das Besondere der Assistenz immer wieder als Fahne hochhalten.” Damit spricht sie für den Assistenzdienst.

*Namen von der Redaktion geändert